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Welcome to the Teletext-Internet

Elysium Roman 1 – Kapitel 3: Rekrutierung


Die drei hatten sich zum Frühstück um den kleinen Tisch vor dem Fernseher im Wohnzimmer versammelt. Abigail rieb sich ihren schmerzenden Rücken, denn die Nacht auf der durchgelegenen Matratze war alles andere als erholsam gewesen. In der einen Hand hielt sie ein angebissenes Marmeladenbrot und in der anderen eine Tasse mit improvisiertem Pulverkaffee. Die anderen beiden kauten ebenfalls an ihren Broten und sahen um diese Zeit noch nicht allzu fit aus.

„Wie nennen wir uns eigentlich?“, fragte Harry und schlürfte dann an seiner Tasse. Abigail und Yuri sahen ihn fragend an. „Naja, wir brauchen doch einen Namen für unsere Agentur oder etwa nicht. Einen Namen für ein Schild, das wir draußen an der Türe anbringen können. Einen Namen, den wir ins Branchenbuch schreiben lassen können“, führte er aus.

„Ins Branchenbuch…?“, sagte Yuri und zog die Augenbrauen hoch. „Bist du sicher, dass wir uns schreiben lassen sollten in Branchenbuch?“

„Warum denn nicht? Immerhin finden uns dann potentielle Kunden leichter“, konterte Harry trocken, war sich aber plötzlich nicht mehr sicher, ob dies wirklich so eine gute Idee war.

„Es sollte auf jeden Fall professionell klingen“, begann Abigial laut zu überlegen. „Aber auch verwegen, nach Abenteuer und so. Wie wäre es mit einem Akronym als Namen? So etwas kommt immer gut. Das zeigt gleich, dass wir uns für unsere Agentur Gedanken gemacht haben.“ Sie starrte in ihre Tasse, als suche sie in der braunen Flüssigkeit nach einer passenden Eingebung.

„Wie wäre es mit >Die Knochenbrecher<“, sprach Yuri und nahm genüsslich einen großen Bissen von seinem Brot.

„Sehr seriös“, grinste Harry. „Warum nicht gleich >Die Raubmörder<?“

„Was haltet ihr von >Special Operations Force Agents<“, warf Abigail ein, während von ihrem Brot etwas Marmelade unbemerkt auf den Teppich tropfte.

„Schon viel besser“, nickte Harry und überlegte kurz. „Und das Akronym wäre dann… SOFA?“

Abigail presste die Lippen aufeinander. „Äh… ja, SOFA“, sagte sie und kratzte sich am Hinterkopf, während ihr noch ein Klecks Marmelade auf die Hand tropfte, den sie mit einer umständlichen Zungenbewegung ableckte.

„SOFA… klingen nach seriösem Abenteuer und viel Action“, brummte Yuri, steckte sich den Rest seines Brotes als Ganzes in den Mund und wischte sich dann seine Hände an der Hose ab.

„Pah! Dann lass dir doch was besseres einfallen“, grunzte Abigail leicht beleidigt.

„Der Ansatz war schon mal nicht schlecht“, merkte Harry an und versuchte, sie zu einem neuen Anlauf zu ermuntern.

„Wie wäre es mit… mit… Trained Rookies Against Problems?“, kam es aus ihr hervor.

„Das trifft es eigentlich ziemlich genau“, erwiderte Harry beeindruckt. „Also für mich klingt das verdammt gut. Zumindest nicht zu aufschneiderisch oder gezwungen cool und trotzdem irgendwie… wie soll ich sagen? Sportlich?“

„Akronym sein dann TRAP“, nickte Yuri. „Als ich in Stadt hier ankam, früh gelernt habe was bedeutet >trap<. Muss ich erzählen euch jetzt. Da war diese Frau in Nachtclub, sehr gut aussehen. Wollte gleich mit mir in Hinterzimmer machen Liebe. Aber plötzlich, als Hose von Frau war unten…“ Harry hatte auf die Erzählung hin die größte Mühe, seinen Kaffee nicht vor Lachen quer durchs Wohnzimmer zu spucken.

„Es kann auch einfach nur >Falle< bedeuten“, unterbrach ihn Abigail schnell, die sich schon denken konnte auf was genau diese Geschichte hinauslief.

„Gut, also TRAP“, sagte Yuri und die anderen beiden stimmten zu.

„Jetzt wo wir einen Namen haben, fehlt uns aber noch immer etwas ganz Wesentliches“, überlegte Harry weiter.

„Ja“, seufzte Aigail. „Wir brauchen ein Auto, ich weiß. Wir haben vorgestern schon darüber gesprochen.“

„Hast du eigentlich eine Fahrerlaubnis?“, fragte sie Harry. „Also ich bin tatsächlich noch nie vorher Auto gefahren und selbst wenn… ich bin nicht sicher, ob ein Führerschein aus Fukumata in Elysium überhaupt gelten würde. Die Städte haben für solche Dokumente manchmal gegenseitige Abkommen geschlossen, keine Ahnung“, Harry zuckte mit den Schultern. Abigails Wangen nahmen eine zartrote Färbung an. „Ich habe auch keinen Führerschein“, sagte sie und räusperte sich verlegen. Harry sah sie überrascht an.

„Keinen Führerschein?“, wiederholte er fragend.

„Nein. Bei meinen bisherigen Jobs im IT-Bereich habe ich nie einen gebraucht. Die meisten Büros kann man hier in der Stadt recht gut mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen. Außerdem ist eine Fahrprüfung vergleichsweise teuer und ich konnte nie eine solche Summe nebenbei sparen“, erklärte sie mit einem leicht entschuldigenden Unterton. Harry rieb sich nachdenklich am Kinn. Ihre leicht kauernde Körperhaltung bei diesem Thema ließ vermuten, dass ihr der Gedanke ein Auto selbst steuern zu müssen grundsätzlich nicht sehr behagte. Dann drehten sich Abigail und Harry gleichzeitig zu Yuri. Der nahm gerade einen Schluck aus seiner Tasse und sah überrascht zwischen den beiden hin und her.

„Nicht schauen mich an. Bin mal einen Panzer gefahren aber nie Auto“, erklärte er und trank dann weiter.

„Ach du scheiße…“, seufzte Abigail. „Wir gründen allen Ernstes eine Agenten-Agentur und keiner von uns kann fahren?“

„Nicht so Scheiße, brauchen nur vierte Mann“, erwiderte Yuri und stellte die leere Tasse vor sich ab.

„Ja, warum eigentlich nicht?“, überlegte Harry. „Wenn wir drei irgendwo in Aktion sind, kann auf diese Weise zumindest immer einer auf das Auto aufpassen.“

„Hat noch jemand Geld für kaufen Auto?“, fragte Yuri.

„Um die Details kümmern wir uns später“, meinte Abigail und rieb sich genervt die Nase. „Zur Not… besorgen wir uns eines und lackieren es um. Uns fällt schon was ein.“

„Wie wir kommen an vierte-Mann-Fahrer?“, warf Yuri erneut ein und fing an, sich mit dem rechten Zeigefinger in den Zähnen zu pulen. Harry ging zu seinem Rucksack und zog seine Brieftasche hervor. Dann zählte er sein restliches Barvermögen durch.

„Sehr weit kommen wir nicht mehr. Für einen Eintrag im Branchenbuch und eine Zeitungsanzeige reicht es jedoch noch“, stellte er fest.

„Du willst wirklich eine Zeitungsanzeige für einen Fahrer aufgeben?“, fragte Abigail mit einer hochgezogenen Augenbraue.

„Ja klar. Irgendwie muss man doch mal anfangen“, verteidigte sich Harry mit zuckenden Schultern. „Wenn wir so etwas machen, dann am besten gleich in der größten Tageszeitung. Ist zugleich auch eine Form von Werbung, ihr werdet schon sehen. Wie ist denn die Nummer vom Daily Observer, dann rufe ich dort mal eben an?“

„Branchenbuch liegt unter Fernseher“, sagte Yuri und deutete mit einem Kopfnicken in Richtung des Röhrengeräts.

„Da, was habe ich gesagt? Es ist ungemein wichtig, dass wir dort auch bald drinstehen!“, grinste Harry, holte sich das kleine gelbe Buch und fing an zu blättern.

„Ja. Mit Werbespruch: buchen Sie TRAP für seriöse Action. Wir werden bald haben viele Anrufe von sonderbare Männer…“, murmelte Yuri.

Drei Tage später war die Wohnung blitzblank geputzt. Harry und Yuri hatten sich die Zeit damit vertrieben, so gut es ging mit dem vorhandenen Werkzeug alle kleinen Reparaturen im Haushalt durchzuführen, die nötig waren. Ein selbstgebasteltes TRAP-Schild war mittlerweile an der Wohnungstüre angebracht. Abigail hatte ihren C64-Computer mit dem Anschluss für das Teletextinternet verbunden und auch das hatte einwandfrei geklappt. Sie hatte nur eine relativ kleine Sicherheitssperre mithilfe eines Brute-Force-Programms umgehen müssen und mit etwas Glück konnten sie in Zukunft dieses Netz vollkommen kostenlos nutzen. Gespannt warteten sie den ganzen Vormittag über, denn heute war es soweit. Die Anzeige für den neuen Fahrer war mit der heutigen Ausgabe des Daily Observer erschienen. Gegen 11 Uhr klingelte es dann tatsächlich. Harry nahm ab und die anderen beiden unterbrachen sofort ihre Tätigkeiten und kamen neugierig ins Wohnzimmer.

„Guten Tag, Sie sprechen mit der TRAP-Agentur, die Agentur für besondere Fälle. Was kann ich für Sie tun?“, sprach er selbstbewusst in den Hörer.

„Aaah ja, wunderbar, na endlich Alter! Ick dachte schon ick bin nochmal in der Entbindungsklinik jelandet. Wisst ihr überhaupt, dass ihr fast die gleiche Nummer habt?“, grölte es am anderen Ende. Harry hielt sich den Hörer etwas weiter vom Ohr weg und verzog das Gesicht. Sein Gesprächspartner war laut genug, dass seine Kameraden problemlos mithören konnten.

„Wer spricht denn da bitte?“, fragte er, als sein Gegenüber geendet hatte.

„Na icke! Ihr seid doch die Typen mit der Agentur? Hab ick vorhin jelesen, als ich auf der Schüssel jesessen bin. Alter, ick bin euer Mann! Ihr findet in der janzen Stadt keen besseren Fahrer als den alten Ralph!“, grölte es erneut.

„Ähm… wie sind denn Ihre Referenzen“, fragte Harry zögerlich nach.

„Na die sind bestens Mann, richtig saftig, da wirste Augen machen! Schönere findste nirjends! Wann kann ick anfangen? Wo soll ick hinkommen?“, dröhnte es aus dem Hörer. Harry sah zwischen Yuri und Abigail hin und her und versuchte an deren Mimik abzulesen, was sie von dem Anrufer dachten. Yuri zuckte nur mit den Schultern.

„Soll kommen“, sprach er etwas gedämpft. „Kann nicht werden so schlimm. Zur Not wir schicken ihn zu unserem Nachbarn.“ Abigails Gesichtsausdruck hingegen war umspielt von einem sanften Hauch von Hoffnungslosigkeit. Harry gab Ralph die Adresse durch und der bestätigte, sich sofort auf den Weg zu machen. Dann hörte man im Hintergrund andere Leute schimpfen und Autos hupen. Anscheinend hatte der Bewerber von einer Telefonzelle aus angerufen und nicht aufgelegt.

„Wir… warten einfach mal das Bewerbungsgespräch ab“, erläuterte Harry, der immer noch verdutzt den Hörer in der Hand hielt. „Wenn sich noch mehr Leute melden, wählen wir am Schluss einfach den am besten geeigneten Kandidaten aus.“ Dann legte er auf und trottete in die Küche. „Ich koche mal was aus den Konservendosen, die wir mitgebracht haben“, murmelte er. Plötzlich klingelte es erneut und Abigail und Harry drehten um und kamen sofort zum Telefon zurück. Yuri hob mit regungsloser Miene ab.

„Guten Tag, Sie nun mit Agentur TRAP sprechen, wir machen besondere Fälle möglich. Was ich kann tun für Sie?“, meldete er sich mit tiefer Stimme. Abigail ließ daraufhin den Kopf hängen und rieb sich die Schläfen. Am anderen Ende der Leitung wisperte etwas und Yuri überlegte kurz. „Nein, ich nicht bin Hebamme. Nein, ja bin sicher. Ja besondere Fälle, aber nicht holen Babies. Nein. Ja. Danke, noch schönen Tag.“ Dann legte er auf. „Verrückter Mann vorhin hatte recht, wir haben fast gleiche Nummer wie Baby-Klinik.“

„Wenn du in die Küche gehst, könntest du bitte nachsehen ob da zufällig ein Schnaps rumsteht?“, fragte Abigail gen Harry und schlurfte dann wieder in Richtung ihres Computers.

Eine Stunde später klingelte es an der Türe. In der Zwischenzeit war das Telefon still gestanden, kein weiterer Bewerber hatte sich gemeldet und es gab auch keine neuen Anfragen für Geburtshilfe. Abigail öffnete und sah den Mann der vor ihr stand prüfend an. Es war ein Punk, der das 70ste Lebensjahr schon überschritten haben musste. Gekleidet war er in abgetragene Springerstiefeln, zerrissenen schwarzen Jeans, die an manchen Stellen nur noch von großen Sicherheitsnadeln zusammengehalten wurde, einem ausgewaschenem blauen T-Shirt auf das zwei gekreuzte Pistolen und ein Totenkopf aufgedruckt waren und darüber eine abgewetzte Lederjacke, an der zahlreiche Ketten hingen. Unter der Jacke, das konnte man deutlich erkennen, trug er einen Holster mit einer Pistole. Auf dem Rücken hing ein uralter Rucksack mit vielen Aufnähern von diversen Bands schlaff herunter. Sein sonnengebräuntes Gesicht war mit unzähligen Falten und auch Narben übersät. Seine schwarzen Haare standen mithilfe einer ordentlichen Menge an Haarspray als stachelige Borsten vom Kopf ab. Er grinste breit, als er Abigail sah.

„Na aber hallo! Wenn ick jewusst hätte, dass hier so eine wunderhübsche Frau arbeitet, hätte ick noch einen Strauß Blumen mitjebracht!“ Dann holte er eine originalverpackte Schachtel mit Pralinen aus seinem Rucksack und überreichte sie ihr. Abigail, die von seinem ersten Eindruck eher abgeschreckt war, zeigte sich nun sichtlich überrascht.

„Oh… das ist aber… äh… dankeschön…!“, lächelte sie und bat ihn herein. Dann schaute sie auf die Packung. „Edle Pralinen mit Birnenschnaps? Das ist gut, so etwas mag ich gerne.“

„Ja nich? Ick ooch! Seit ick trocken bin, ess ick die jeden Tag!“, antwortete er mit einem noch breiteren Grinsen, das seine Mundwinkelfalten wie eine ledrige Ziehharmonika zusammenschob, woraufhin Abigail eine Augenbraue hochzog. Die anderen beiden begrüßten ihren Gast ebenfalls und sie setzten sich dann alle zusammen ins Wohnzimmer um den kleinen Tisch.

„Dann würde ich vorschlagen, wir stellen uns einfach mal der Reihe nach vor und dann sehen wir, ob wir uns geschäftsmäßig einig werden“, leitete Harry das Gespräch ein und die anderen nickten zustimmend. „Harima Kenji, aber alle nennen mich Harry. Ursprünglich geboren bin ich in Neo Tokyo, aufgewachsen und gelebt aber in Fukumata. Meine Eltern waren zu arm um mich auf gute Schulen schicken zu können und wenn man dort erst einmal in der Unterstadt gelandet ist, kommt man auf normalen Weg kaum mehr raus. Mein Onkel hatte zumindest eine kleine Kampfsportschule und brachte mir über die Jahre hinweg alles bei was er wusste, bevor er von Schutzgeldeintreibern erschossen wurde.“ An dieser Stelle stockte er kurz, fuhr aber dann fort. „Mithilfe seines Trainings konnte ich meinen Lebensunterhalt mit allerlei kleinen Aufträgen für verschiedenste Leute verdienen. Meistens als Bodyguard für ausländische Geschäftsleute, die jemand mit Ortskenntnis engagieren wollten. Dabei habe ich auch Amerikanisch gelernt. Vor einiger Zeit gab es allerdings einige… Komplikationen. War besser für mich, die Stadt zu verlassen und Elysium schien ein guter Platz um neu anzufangen. Hier habe ich dann vor erst ein paar Tagen meine Kollegen kennengelernt. Wir waren alle in irgendeiner Form auf der Suche nach einem Neuanfang und dachten uns, wir werfen unser weniges restliches Geld zusammen und gründen eine Agenten-Agentur. Es gibt immer eine gewisse Nachfrage nach Leuten, die Aufträge für delikate Angelegenheiten annehmen. Alleine kommt man aber nicht weit, als Team kann man eine größere Bandbreite an Fähigkeiten anbieten, ist flexibler.“ Abigail nickte bestätigend zu Harrys Erklärung.

„Ja, genau. Ich selbst bin zum Beispiel keine gute Kämpferin, hatte aber genug davon einfach nur eine billige Arbeitskraft zu sein. Mein Name ist übrigens Abigail Lindsay und ich bin in Elysium geboren und aufgewachsen. Nach der Schule habe ich eine IT-Ausbildung gemacht und war seitdem für verschiedene Unternehmen tätig, bin aber immer nur eine Nummer in riesigen gesichtslosen Arbeitsmassen gewesen, wie in einem Bienenstock. Dieses typische langweilige Leben eben, in dem jeder Tag dem anderen gleicht. Irgendwann hält man es nicht mehr aus, wenn man nicht vollkommen abstumpfen will. Ich hätte so weitermachen können bis ich tot umfalle, aber ich wollte einfach mal was erleben. Selbst wenn man das bisschen Sicherheit aufgibt, selbst wenn es gefährlich und…“ sie ließ ihren Blick kurz über das Wohnzimmer schweifen „… und wenig komfortabel wird.“ Der alte Punk rieb sich während Abigails Erklärung nachdenklich das Kinn. Ihm war deutlich anzusehen, dass er selbst schon einiges erlebt haben musste. Wahrscheinlich war er mehr als einmal nur gerade so mit dem Leben davongekommen. Allerdings schien er ihre Beweggründe gut nachvollziehen zu können und empfand ihre Entscheidung trotz ihrer offensichtlichen Unerfahrenheit keineswegs als blauäugig. Abigail sah zu Yuri und nickte ihm zu.

„Yuri Artemovich Sokolov“, stellte er sich vor und zeigte dabei mit dem Daumen auf sich. „Komme von Utopia und war dort bei spezielle Militär. Eltern früh gestorben, in Staatseinrichtungen aufgewachsen. Viel Militärausbildung bekommen und viel Politikschule. Ist aber nicht so gut für Kopf und wenn man beginnt zu sehr zu Denken, alles wird schwer. Vor einem Jahr dann bei Einsatz geflohen und so weit wie möglich gelaufen. Jetzt hier.“

„Mann, Mann, Mann…“, der Punk kratzte sich am Hinterkopf. „Da biste ja eene janze Strecke jeloofen. Wie lange fliegt man nach Utopia? Zwölf Stunden oder so? Respekt.“

„Ja, oder so“, bestätigte Yuri.

„Wenn se dich hier finden, schneiden se dir die Kehle durch?“, fragte der Gast nach.

„Ja“, antwortete Yuri knapp.

„Denk ick mir“, nickte der wiederum und sah dann in die Runde. „Also ick bin der Ralph, einfach Ralph. Meinen Nachnamen brauch ick nicht mehr, sonst finden mich die Behörden nur schneller. Leute, ick will janz ehrlich sein, denn ihr wart et ooch. Ick hab viel Scheiße jebaut in meinem Leben und ick weiß bis heute nicht, wie ick das alles überlebt habe. Vor zwei Jahren bin ick bei einem Aufstand dann noch aus der Shell ausgebrochen, weil ick nicht da drin verrecken wollte.“

„Shell?“, fragte Harry nach.

„Staatsgefängnis von Elysium“, erklärte Abigail kurz, bevor Ralph mit seiner Erklärung weitermachte.

„Ick bin schön langsam zu alt für die janze Scheiße und da draußen wird’s immer jefährlicher für jemand wie mich. War mal ne harte Socke aber die Zeiten ändern sich. Ihr sucht nen Fahrer? Fahren kann ick, fahre euch überall hin, keen Problem. Wenn ich dafür nen Platz bekomme, wo mir nicht mehr die Kugeln um die Ohren fliegen.“

Die anderen drei sahen sich an und überlegten einen Moment. Ein alter Gesetzloser also, der womöglich noch auf aktuellen Fahndungslisten stand, eventuell ein ordentliches Alkoholproblem hatte und von dem man nicht ansatzweise sagen konnte, wie zuverlässig er sein würde. Ob er ihnen in der Nacht während sie schliefen die komplette Bude ausräumen würde?

„Ähm… also wegen einer Bezahlung…“, begann Harry.

„Ach, lass stecken“, winkte Ralph ab. „Ick brauch wirklich nur nen Platz zum Pennen und wat zu Essen. Schön jemütlich habt ihr et ja hier. Achja und ick kann sogar wat beisteuern, ooch wenn et nicht viel ist. Unten vor der Türe steht mein Wagen, den kann ick in die Kommune einbringen.“ Yuri stand auf und ging zum Fenster. Unten stand ein etwa zehn Jahre alter Ford Capri S in grün. Er hatte zwar ein paar Beulen, schien aber sonst in gutem Zustand zu sein. Yuri nickte den anderen zu und hob den Daumen der rechten Hand.

„Wir versuchen das einfach“, sagte Abigail daraufhin und auch Harry zeigte sich einverstanden. „Allerdings musst du im Wohnzimmer auf der Couch schlafen“, schob sie hinterher. Ralph grinste.

„Dat ist eine Verbesserung zur Rückbank meiner Karre, Mädchen. Wir sind im Jeschäft.“


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