Elysium Roman 2 – Kapitel 8: Vor aller Augen verborgen
April 7, 2023
„Was immer du tust, sei so schnell wie nur irgend möglich und so leise wie nur irgend möglich“, flüsterte Abigail zu Yuri. Vor wenigen Momenten hatte die Ringansprache draußen aufgehört und der Gong zum Beginn des Finales war ertönt. Der Innenbereich des Schiffes war so gut wie leergefegt und die beiden hatten sich unbemerkt zurück in den Nebengang begeben, in dem ihnen Lisa Muller zuvor noch über den Weg gelaufen war.
„Klar. Schnell und leise. Meine Spezialität ist“, bestätigte Yuri, befreite dann den Schalldämpfer aus dem Silberpapier und schraubte ihn auf seine Pistole.
„Man kann so etwas natürlich nicht absehen aber hast du irgendeine Schätzung von früheren Aktionen, wie lange du ungefähr brauchen wirst?“, hakte Abigail nach.
„Ein paar kurze Minuten“, nickte Yuri und überprüfte das Magazin seiner Waffe, lud dann durch.
„Und den Schlüssel hast du, den habe ich dir gegeben, ja? Weißt du auch noch wo du ihn reingesteckt hast?“, fragte Abigail mit leicht steigender Nervosität weiter. Der Hüne musste grinsen.
„Babyeule muss jetzt schnell zu den Kameraden, ich schaffen das schon hier“, stellte er fest und verbarg die Waffe griffbereit unter seinem Jacket. Abigail sah mit zu Schlitzen verengten Augen zu ihm hoch und gab ein grunzendes Geräusch von sich.
„Viel Glück, Großer“, flüsterte sie dann und eilte los.
„… oder wie man sagt in meiner Heimat: eine Bergziege und ein Auto zusammen niemals Kuchen essen“, murmelte Yuri und stapfte in Richtung Dexters Kabine. Mittlerweile waren zwei andere Wachleute vor dem Raum postiert und unterhielten sich – über was genau, das konnte Yuri nicht verstehen. Als sie ihn bemerkten, drehten sie sich sofort zu ihm.
„Hey Meister, wohin des Weges?“, rief ihm der eine zu.
„Habe Telefonat für Herrn Dexter“, antwortete Yuri und deutete auf die Wölbung auf seinem Jacket, in dem die Pistole steckte. Die Wachen sahen sich daraufhin fragend an und schienen misstrauisch zu werden, während er ihnen mit festem Schritt unbeirrt entgegenkam.
„Letzte Warnung Mann…“, begann der eine wieder, als Yuri plötzlich in die Tasche griff und seine Pistole herausriss. Er schoss viermal in schneller Folge, zielte dabei direkt auf die Köpfe. Die beiden Sicherheitskräfte brachen tot zusammen, bevor sie ihre eigenen Waffen ziehen konnten. Trotz Schalldämpfer hatte seine Pistole immer noch eine ordentliche Lautstärke und hallte im Gang wieder. Ohne seinen Schritt zu verlangsamen schoss er nun weitere fünfmal auf das Türschloss, das durch die Wucht des Aufpralls der Kugeln halb aus der Verankerung brach. Als er nahe genug war nahm er Schwung und trat gegen das Schloss, sodass die Türe aufgerissen wurde. Unbeirrt marschierte er weiter in die ausladend große Luxuskabine. Überraschenderweise war darin alles in gedämpftes Rotlicht getaucht. Auf einem großen, noblen Eichentisch waren die exotischen Speisen und Getränke drapiert, die Lisa wohl zuvor auf dem Speisewagen hereingebracht haben musste. Ansonsten bestimmten teuer aussehende Gemälde an den Wänden, viele verspielte Accessoires und schicke Möbel das Gesamtbild. In der Nähe des Panoramafensters stand eine Dame in einer streng aussehenden, hauteng anliegenden roten Lackkleidung und hochhackigen Stiefeln. In der Hand hatte sie eine Reitgerte und auf dem Kopf einen Haarreif, auf dem zwei flauschige Katzenohren angebracht waren. Sie stand direkt neben einem schwarzen Bett, auf dem Dennis Dexter lag, nackt, mit vier Handschellen an die Bettpfosten gefesselt und einem schwarzen Gummiball im Mund. Als er Yuri sah, begann er wie wild zu quietschen und versuchte verzweifelt, an den Handschellen an seinen Handgelenken und Beinen zu ziehen, um sich zu befreien. Diese Mühen waren natürlich vollkommen sinnlos. Die Dame drehte sich um und hielt die Reitgerte dabei an den Hüften. Es war Gigi Chiwawa persönlich, die Yuri vor ein paar Stunden noch auf dem roten Teppich kennengelernt hatte. Sie sah zuerst auf die beschädigte Kabinentüre, dann auf den Hünen und grinste süffisant.
„Ihr hier machen Sado-Maso und Fesselspiele?“, erkundigte sich Yuri und deutete auf Dexter.
„Ja. Sag mal Schätzchen: hat man dir nicht beigebracht keine Räume zu betreten, die verschlossen sind?“, fragte sie in strengem Ton.
„Aber ich habe doch Schlüssel“, stellte Yuri fest, zog den Zimmerschlüssel aus der Hosentasche, zeigte ihn ihr demonstrativ und ließ ihn daraufhin auf den Boden fallen.
„Und warum hast du ihn nicht benutzt?“, fragte Gigi nun erstaunt.
„Meine Kollegin nur gefragt hat ob ich dabei habe Schlüssel. Nicht gesagt ich soll benutzen“, zuckte er mit den Schultern. Dann marschierte er auf das Bett zu und Gigi sprang zur Seite.
„Was hast du jetzt vor? Willst du ihn erschießen?“, rief sie, während der Drogenboss immer noch mit hoher Stimme quiekte und sich auf dem Bett wand wie ein auf den Rücken gefallener Mistkäfer. Gigi hingegen warf die Arme hoch und wedelte mit der Reitgerte. Sie verstand die Welt nicht mehr. Warum um alles in der Welt war dieser Fitnesstrainer hier eingebrochen, von dem sie glaubte, ihn schon einmal irgendwo zuvor gesehen zu haben?
„Ich kann nicht, habe keine Munition mehr in Pistole“, stellte Yuri fest und warf dann die Waffe hinter sich.
„Ja, und was jetzt?“, sprach sie und ließ die Gerte mit einem klatschenden Geräusch auf ihren Oberschenkel sausen.
„Jetzt Sado-Maso next level“, sagte Yuri und packte Dexters Nippel, an dem das Piercing mit dem in Herzform geschliffenen Rubin angebracht war. Dann zog er mit einer flinken Bewegung das Filetiermesser aus der Jackettasche und schnitt den Nippel samt Piercing ab, während Dexter wie von der Tarantel gestochen auf und ab hüpfte und sich auf der Matratze aufbäumte. Gigi blieb für einen Moment der Mund offen stehen.
„Schätzchen, du bist ein irres Monster“, merkte sie an.
„Der Typ größter Drogenboss von Elysium, keine Ahnung wie viel Tote auf dem Gewissen“, zuckte Yuri wieder mit den Schultern, während er den Nippel in ein Taschentuch wickelte und in seiner Hosentasche verstaute.
„Achja? Ist das wirklich wahr?“, fragte Gigi entsetzt, worauf der Hüne nur nickte. „Und… und was machst du jetzt? Schneidest du ihm mit dem Messer die Kehle durch?“
„Nein, bin ja nicht irres Monster“, sagte Yuri. Dann prüfte er kurz die Beschaffenheit des Dielenbodens mit seiner Schuhsohle, grunzte und packte das Bett mit beiden Händen. Sofort begann er, es mit einem mächtigen Schwung in Richtung des Panoramafensters zu schieben. Er beschleunigte auf die kurze Distanz so schnell es nur irgend möglich war. Das Bett mit dem gefesselten Dexter krachte ohrenbetäubend laut durch die Scheibe und ein Regen aus Glasscherben prasselte auf Yuri hernieder. Im letzten Moment ließ er los, um nicht selbst mit hinaus gerissen zu werden. Das Bett flog in einem Bogen nach unten, krachte auf das abgeschrägte Fenster des nächsten Stockwerks direkt unter ihnen und purzelte dann zur rechten Seite hinab, noch mehr Scherben flogen durch die Gegend. Unten angekommen schlug es an der Reling auf und wurde von dort aus Richtung Wasser abgelenkt. Mit einem lauten Platschen und Spritzen landete es schließlich auf der Wasseroberfläche und versank augenblicklich, wurde von seinem großen Eigengewicht sofort nach unten in die Tiefe gezogen.
„Heilige Scheiße…“, keuchte Gigi und schnappte nach Luft. Die Reitgerte fiel aus ihren Händen. „Das war… das war unglaublich!“
„Oh, danke“, brummte Yuri und schüttelte sich einige Glassplitter von den Schultern und aus dem Bart.
„Schätzchen… du bist wirklich so… cool und stark… wie ein echter Actionheld!“ Yuri ging auf sie zu, wühlte kurz in seiner anderen Jackettasche, zog eine Visitenkarte hervor und überreichte sie ihr. Sie griff danach und warf einen Blick darauf.
„TRAP-Agentur?“, fragte sie erstaunt.
„Ruf an mich jederzeit, Süße. Wir machen besondere Fälle möglich.“ Während Gigi daraufhin begeistert aufseufzte, machte er auf dem Absatz kehrt und schlug den Weg zur Kabinentüre ein, als ihm plötzlich ein Schwert japanischer Bauart ins Auge fiel, das neben dem Eingang an der Wand hing. Es war mit aufwändigen Gravuren und Schriftzeichen verziert, die er leider nicht lesen konnte. Es schien der filigranen Bauweise nach eigentlich für eine Frauenhand geschmiedet worden zu sein. Unter der Waffe war eine kleine Prunkplatte aus schwarzem Holz angebracht, auf der in goldenen Lettern >Sternenhimmel< geschrieben stand. Yuri warf das Filetiermesser weg, nahm das Schwert von der Wand und wog es kurz in der Hand. Wahrscheinlich war das Ding tausende von Dollar wert, eine ganz außergewöhnliche Arbeit. Es würde ihm auf jeden Fall die Flucht erleichtern. Als er durch die Kabinentüre wieder auf den Gang kam, hörte er bereits die aufgeregten Schreie der Wachleute.
Schadensanalyse: keine inneren Verletzungen am Skelett oder am Bewegungsapparat, Hüfthydraulik unversehrt. Starke Beschädigungen am menschlichen Gewebe, Einschussloch im Bauchraum, mehrere Blutgefäße zerrissen. Drastischer Blutverlust, Verödung des Gewebes wird empfohlen. Heilungsprozess wird im Normalfall auf eine Woche und mithilfe von externer Energiezufuhr auf zwei Tage geschätzt. Eine Entfernung des Projektils wird für den Heilungsprozess dringend angeraten, es befindet sich in Wirbelsäulennähe. Analyseende.
Die Wirkung des aufputschenden Drogencocktails, den Yanny Harry zum trinken gegeben hatte, war bereits ein gutes Stück schwächer geworden. Sie hielt aber noch so weit ausreichend an, um ihn nach wie vor aufrecht zu halten.
„Du hast mir das Leben gerettet. Ich weiß überhaupt nicht, wie ich dir danken soll… Wie… wie geht es dir?“, fragte Harry besorgt. Sie standen sich in der Kabine gegenüber, er hielt sich die Rippen vor Schmerzen und Yanny hielt sich den Bauch. Nachdem sie von Roy Hellfist angeschossen worden war, hatte sie schnell die Hand über die Wunde gelegt und den Ringfinger tief in das Einschussloch geschoben, um damit die Blutung notdürftig aufzuhalten. Sie hatte sehr gut improvisiert und den Trubel und die allgemeine Aufregung genutzt um den im Ring anwesenden Leuten vorzugaukeln, dass der sterbende Leibwächter wohl entweder daneben geschossen oder die Waffe eine glückliche Fehlzündung gehabt haben musste. Da sie lachend jede ärztliche Untersuchung abgelehnt und auch sonst quicklebendig gewirkt hatte war es möglich gewesen, die Täuschung aufrecht zu erhalten. Da sie merkte wie zügig ihr Blut jedoch in das schwarze Kleid zu sickern begann, hatten sie sich so schnell als möglich zurück in die Kabine begeben und die Siegerehrung mit einer hastigen Erklärung eine Stunde nach hinten verschoben.
„Alles in Ordnung“, sagte sie leise zu ihm. „Nur mein Gewebe ist etwas beschädigt.“ Ihr Kleid war mittlerweile um den Bauch vollkommen mit Blut durchnässt, von ihrer Hand tropfte es bereits auf den Teppich. Dann zog sie den Finger langsam mit einem schmatzenden Geräusch aus der Wunde und ein kleiner Schwall spritzte auf das weiße Bettlaken.
„Um Himmels Willen! Was kann ich tun? Wie kann ich dir helfen?“, rief Harry mit gedämpfter Stimme.
„In der Medizintasche ist eine Taschenlampe, ein Skalpell, ein Wundspreizer und eine Pinzette. Wenn du eventuell die Kugel herausholen könntest? Sie steckt ziemlich tief. Ich könnte es auch selbst machen aber ohne Spiegel müsste ich ziemlich in mir herumwühlen, weil ich nicht spüre wo das Teil ganz genau steckt. Irgendwo in der Nähe der Wirbelsäule. Wäre das in Ordnung für dich, haben wir die Zeit?“, fragte sie ihn und lächelte. Wie zum Teufel konnte sie jetzt nur so ruhig bleiben?
„Nein also… ich meine, ja, ich mache das natürlich. Aber geht das denn so einfach?“, erwiderte er, kniete sich vor sie hin und riss nervös die Tasche auf. Er kramte nach den benötigten Utensilien und wurde schnell fündig.
„Aber klar“, sagte sie mit einer Betonung, als wäre dies die normalste Sache der Welt. Sie hoffte, ihm damit etwas von seinen Bedenken nehmen zu können.
„Hast du große Schmerzen?“, fragte er. Yanny schüttelte sachte den Kopf.
„Die kann ich zu 90 Prozent abstellen.“
„In Ordnung… Was soll ich machen? Wie soll ich es machen?“, fragte er und räusperte sich, um seine Nervosität zu unterdrücken.
„Ich bleibe am besten gleich stehen, sonst läuft die Wunde voller Blut und du wirst nichts mehr sehen können. Schneide einfach mit dem Skalpell das Einschussloch größer, spanne es mit dem Wundspreizer ordentlich auf. Suche dann mit der Taschenlampe und der Pinzette die Kugel und zieh sie raus. Alles ganz einfach. Den Rest regelt mein Organismus mit der Zeit von selbst.“ Während sie so erklärte, zog sie ihr Kleid aus und ließ es auf den Boden fallen, stand nun in schwarzer Spitzenunterwäsche und blutverschmiert vor ihm. Aus der Bauchwunde sickerte es fortwährend in einem dünnen Rinnsal, sodass sich nun auch langsam ihr Slip damit zu tränken begann und die Flüssigkeit über ihren rechten Oberschenkel nach unten rann. Harry hatte das Skalpell und den Wundspreizer in der Hand und betrachtete sie.
„Yanny… ich…“, sprach er und merkte, dass sein Mund vollkommen trocken geworden war.
„Du kannst das, ich weiß es“, flüsterte sie aufmunternd zu ihm.
„Was ist, wenn ich mit der Pinzette abrutsche? Kann ich… wie soll ich sagen… versehentlich irgendetwas an deiner Wirbelsäule kaputt machen? Und was ist mit dem ganzen Blut? Was passiert, wenn du bei der Prozedur noch mehr Blut verlierst?“, fragte er besorgt mit Blick auf die Utensilien in seinen Händen. „Das wird sich nämlich nicht verhindern lassen.“ Sie lächelte immer noch und kniete sich zu ihm hinunter, sodass sie sich nun ganz nah waren.
„Das ist wirklich sehr lieb von dir, dass du dir so viele Gedanken um mich machst“, erwiderte sie mit sanfter Stimme und sah ihm in die Augen. „Du musst dir wirklich keine Sorgen machen. Wenn ich zu viel Blut verliere, könnte man das vorübergehend auch mit Kochsalzlösung problemlos substituieren, aber ich habe ja schließlich noch ein paar Liter in mir. Außerdem befindet sich in meinem Skelett ein kleiner Generator, der langsam nachproduzieren kann wenn ich Lebensmittel und Flüssigkeit zu mir nehme. Und meine Wirbelsäule wirst du mit der Pinzette nicht beschädigen können, nicht mal mit Gewalt…“, sie hielt inne und wich dann seinem Blick kurz aus, sah für einen Moment zu Boden. „Ich bin eben kein Mensch… Auch wenn ich aussehe wie eine Frau, ich werde niemals eine sein.“
„Dieser Tatsache verdanke ich mein Leben“, entgegnete er sanft. Daraufhin lächelte sie zwar wieder, presste aber dann die Lippen aufeinander und stand auf.
„Stell’ Dir einfach vor, du würdest ein Haushaltsgerät reparieren. Recht viel mehr ist es nicht“, sagte sie mit einer nur schwer zu deutenden Intonation in der Stimme und zog mit beiden Händen die Haut um das Einschussloch auseinander, um ihm das Schneiden mit dem Skalpell zu erleichtern.
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