Elysium Roman 3 – Kapitel 7: Was geschieht hier?
June 2, 2023
Ralph und Yanny waren gerade wieder am Hauptquartier angekommen und dabei die Türe hinter sich zu schließen, als das Mobiltelefon klingelte. Schnell zog sie die Antenne aus und drückte den Knopf um das Gespräch anzunehmen. Das einzige was sie jedoch hören konnte, war Rauschen und Knacken.
„Aby, bist du das?“, fragte sie laut. Keine Antwort.
„Hörste wat?“, erkundigte sich Ralph und sah sie gespannt an. Yanny schüttelte den Kopf.
„Nein, nur noch Rauschen. Als wir sie vorhin vom Universitätsparkplatz aus angerufen haben, kamen wenigstens noch ein paar Worte durch bevor die Verbindung abgerissen ist. Jetzt geht überhaupt nichts mehr“, erwiderte sie resignierend. Ralph räusperte sich und fuhr sich durch die borstigen Haare.
„Wir warten einfach. Die Karre ist noch gut getankt und wenn sie uns brauchen, sind wir im Nullkommanichts unterwegs.“ Es stimmte: im Kofferraum von Ralphs Wagen befand sich eine Sporttasche, die bis oben hin mit Ausrüstungsgegenständen und Waffen vollgepackt war. Er hatte sogar einen Reservekanister mit Benzin dort hinten deponiert. Sollte sich eine der Handgranaten in der Tasche entsichern, würde der alte grüne Ford Capri einen ziemlichen Krater auf der Straße hinterlassen. Yanny ging hinüber zum Schreibtisch, legte das Mobiltelefon neben das stationäre Telefon und schaltete den Computer an. Wenn sie ohnehin nur warten konnten bis sich die anderen melden würden, konnte sie die Zeit genauso gut nutzen und vielleicht noch ein wenig zu diesen sonderbaren Schriftzeichen recherchieren. Ralph hingegen schlurfte in die Küche und öffnete den Kühlschrank um nach etwas Essbarem zu suchen. Die Chipstüte zum Frühstück hatte nicht all zu lange vorgehalten und sein Magen knurrte. Sehnsüchtig linste er auf die Bierdosen, die in der Kühlschranktüre standen. Noch nicht… So lange der Einsatz lief, musste er nüchtern bleiben. Er war Profi genug um sich jetzt nicht zu besaufen. War er doch, oder nicht? Grunzend griff er dann zu dem Teller mit den Frikadellenresten von gestern.
„Ralph…?“, hörte er Yanny hinter sich. Er drehte sich um. Sie stand im Kücheneingang und machte ein bedrücktes Gesicht. Wollte sie nicht eben noch am Computer arbeiten?
„Ja?“, erwiderte er fragend, griff sich eine der Frikadellen und biss hinein.
„Machst du dir eigentlich keine Sorgen um die anderen?“, fragte sie und sah zu Boden. Ob er sich Sorgen machte? Er überlegte einen Moment lang kauend, wie er darauf antworten sollte. Ja, er machte sich durchaus Gedanken, denn sie waren ihm alle schon nach dieser verhältnismäßig kurzen Zeit ans Herz gewachsen. Wie wären die letzten Monate wohl für ihn verlaufen, wenn er sich nicht auf diese Zeitungsanzeige gemeldet hätte? Wäre er dann überhaupt noch am Leben oder vielleicht bereits von diversen alten unliebsamen Bekannten an irgendeiner schmuddeligen Straßenecke erschossen worden?
„Jetzt zerbrich’ dir ma’ nicht den Kopf, junge Dame“, erwiderte er schmatzend. „Unsere Truppe ist ein janz abgewichster Haufen, die wissen was sie tun. Und so lange sie immer noch hier an der Leitung anklingeln können, kann es so schlimm nicht sein. Auch wenn et nur rauscht“, erklärte er und legte beruhigende Selbstsicherheit in seine Stimme. Yanny lächelte daraufhin und schien ein wenig erleichtert, während er sich die andere Hälfte der Frikadelle mit dem Daumen in den geöffneten Mund drückte.
„Danke nochmal für Caine Powerheart, die Actionfigur ist voll krass“, flüsterte sie.
„Keeme Uadache“, erwiderte er mit vollen Mund und winkte ab. Es war wirklich bezaubernd, wie sehr sie sich über dieses Spielzeug gefreut hatte.
Harrys Schwertstreich ging einmal mehr ins Leere. Die blutverschmierte Klinge sauste nur knapp am Oberkörper des Crawlers vorbei, der genau im richtigen Moment ausgewichen war. Der TRAP-Agent hatte zuvor bereits den Crawler enthauptet, der sich von der Tunneldecke aus auf den unbekannten Wachmann gestürzt hatte, aber es war leider zu spät gewesen. Er lag leblos mit zerbissenem Hals unter seinem durchschnittenen Peiniger. Dieses Exemplar hier schien in seinen Bewegungen jedoch weitaus schneller und intelligenter zu sein. Behände umkreiste es Harry nun auf allen Vieren und seine gierigen pechschwarzen Augen glänzten im Licht der Scheinwerfer. Harry hingegen musste immer wieder seinen Stand auf dem Untergrund mit den vielen groben Steinen ausbalancieren, denn ihr Kampf hatte sich mittlerweile direkt auf die Schienen verlagert. Er durfte auf keinen Fall zu Boden stürzen, schoss es ihm durch den Kopf, sonst würde es ihm genauso ergehen wie dem Wachmann. Außerdem lebte sein Kampfstil von Bewegungsfreiheit, sein Schwert war so gut wie nutzlos wenn er keinen Schwung holen konnte. Wie konnte er diesem Gegner jetzt ein schnelles Ende bereiten? Er musste es mit einer List versuchen und ein Risiko eingehen! Erneut schlug er eine schnelle Abfolge von Attacken gegen den Crawler, dem es wie zu erwarten gelang auszuweichen. Mit dem letzten Schwung machte Harry einen kurzen Satz nach vorne, rutschte auf dem steinigen Untergrund entlang und ging in die Hocke. Für seinen Gegner sah es so aus, als wäre er ausgerutscht und hätte diese Haltung eingenommen um nicht gänzlich umzufallen. Der Killerinstinkt des Crawlers gewann sofort die Oberhand, denn nun sah er eine Chance seine Beute zu erlegen. Der sehnige Körper des humanoiden Wesens spannte sich einer Raubkatze gleich an und er sprang mit einem mächtigen Satz direkt auf Harry zu, der noch immer kauerte. Sein Plan war aufgegangen. Er biss die Zähne aufeinander, als er seinen grässlichen Gegner durch die Lichtstrahlen des Scheinwerfers auf sich zufliegen sah, dessen gieriger Mund bereits zum tödlichen Biss geöffnet war. Harry reagierte blitzschnell, machte nun seinerseits eine Ausfallbewegung und schlug das Schwert in einer Drehbewegung nach oben. Zu spät erkannte sein Gegner, dass er direkt in eine Konterattacke gesprungen war. Der Aufwärtshieb war perfekt gesetzt und durchgeführt, die Klinge durchschlug den Körper des Crawlers direkt unter dem Rippenbogen und teilte ihn in zwei Hälften, die mit einem dumpfen Geräusch auf den Holzschwellen der Schienen aufklatschten. Harry hatte nun doch selbst Mühe auf den Beinen zu bleiben, denn er hatte seine ganze Kraft in diesen Schlag gelegt. Als er sich taumelnd ausbalanciert hatte, sah er wie der Crawler, dessen Unterleib nun einen Meter von seinem Oberkörper entfernt lag, begann sich mit den Armen und einem ständig zuschnappenden Kiefer entlang der Schiene in seine Richtung zu ziehen. Er hinterließ dabei eine breite Blutspur. Diese Szene war geradezu grotesk und wenn Harry jemandem erzählt hätte was gerade eben passierte, hätte der es niemals für möglich gehalten. Immerhin war der Name >Crawler<, den die Presse diesen Wesen gegeben hatte mehr als passend dachte Harry, als er den herankriechenden Oberkörper betrachtete. Plötzlich hörte er im Hintergrund Abigail schreien, weitere Schüsse hallten durch den Tunnel. Er durfte keine Zeit verlieren, musste zu ihr und ihr helfen! Er drehte seine Schwertklinge nach unten, machte einen Satz auf den halben Crawler zu und rammte die Klinge nun direkt durch seinen Schädel in den Boden. Genau in dem Augenblick jedoch, in dem er seine Waffe wieder herausziehen wollte, wurde er durch einen mächtigen Aufprall von hinten von den Beinen gerissen. Ein weiterer Crawler hatte ihn aus vollem Lauf angesprungen. Harry fiel schräg nach vorne und versuchte sich noch abzurollen, es gelang ihm jedoch nicht. Ganz im Gegenteil machte diese Bewegung das Ganze noch schlimmer, denn er stürzte mit dem Oberkörper auf die Schiene und genau auf die Seite, an der ihm Troy im Halbfinale auf der Sea Lord die Rippen gebrochen hatte. Die Schutzweste, die er direkt unter seiner Kleidung trug konnte nicht verhindern, dass die erst frisch verheilten Knochen erneut brachen. Er merkte natürlich sofort was geschehen war, japste wie ein Ertrinkender nach Luft und versuchte, sich nicht von dem anschwellenden Schmerz überwältigen zu lassen. Aufstehen! Er musste auf die Beine, sofort! Als er sich mit den Händen an der Schiene hochstützte, sah er aus dem Augenwinkel den Crawler heranspringen, der sich von dem gemeinsamen Sturz wesentlich schneller als er erholt hatte.
„Jetzt reicht’s aber…“, keuchte er und merkte, wie ihm das Adrenalin fast die Sinne vernebelte. Als ihm der Crawler nah genug war, schossen Harrys Hände nach vorne und packten dessen Kopf. Die Kreatur schlug mit ihren klauenartigen Händen nach ihm, traf ihn mehrere Male im Gesicht. Er spürte es jedoch nicht mehr, es ging ums nackte Überleben. Er hielt den Kopf weiterhin fest, stand mit aller Kraft auf und drückte den Crawler nach unten, damit dieser seine Arme nicht mehr in die Höhe seines Gesichts bekommen konnte. Dann begann er, den Kopf des schrecklichen Wesens mit kurz ausgeführten Schlägen seines Knies von unten zu bearbeiten. Der Crawler begann wie am Spieß zu kreischen und nach dem fünften oder sechsten Schlag erlahmte seine Gegenwehr deutlich, als sich seine ausgeschlagenen Zähne nach und nach auf dem Boden verteilten. Das war der Moment der Entscheidung! Harry mobilisierte noch einmal alles, riss den Crawler am Kopf so weit es ihm möglich war hoch und ließ sich dann aus vollen Schwung mit ihm hinunter genau auf die Schiene fallen. Das laute Knacken des Schädels ließ keinen Zweifel daran, dass sein Gegner sich nicht mehr erheben würde. Regungslos blieb er mit seinem zerstörten Gesicht nach unten auf dem Gleis liegen. Erneut stand Harry auf und hielt sich die Seite, wischte sich das Blut aus dem linken Auge, das ihm mittlerweile von einem langen Kratzer an der Stirn übers Gesicht lief, den ihm der Crawler vorhin zugefügt hatte. Dann taumelte er zu seinem Schwert, packte es am Griff und zog es aus dem Kopf seines vorherigen Gegners. Abigail! Wo war sie? Hastig sah er sich um, jedoch war das Erste was er sah Yuri, der bereits in der Nähe der großen Stahltüre zugange war. Als Harry realisierte was sein Kamerad dort gerade tat, wäre ihm vor Verwunderung fast das Schwert wieder aus der Hand gefallen.
Abigail stieß einen lauten und verzweifelten Schrei aus, als sich der Crawler auf sie stürzte, aus dessen klaffender Schulterwunde das Blut in kleinen Stößen hervorspritzte. Sie hatte keine Gelegenheit mehr gehabt ihren Revolver nachzuladen, nachdem sie die Kreatur angeschossen hatte. Seine schnellen Bewegungen und das Gegenlicht des Scheinwerfers hatten ein genaues Zielen unmöglich gemacht. Im Eifer des Gefechts hatte sie zu viele unkontrollierte Schüsse abgegeben. Das Zurückweichen in Richtung Stahltüre hatte das Unvermeidliche nur hinausgezögert. Der Crawler riss sie mit um und sie landete mit einem harten Aufprall auf ihrem Rücken, der ihr die Luft aus der Lunge presste. Das Monster saß nun direkt auf ihr. Unfähig erneut zu schreien, streckte sie die Arme nach vorne und presste die Hände mit aller Kraft gegen den knochigen Brustkorb des Angreifers, der sofort versuchte sich zu ihr hinunterzubeugen und seine Zähne in ihren Hals zu graben. Seine Haut fühlte sich an wie altes abgeschabtes und feuchtes Leder. Der faulige Gestank seines Atems war geradezu unerträglich und sie drehte angewidert und verzweifelt ihr Gesicht zur Seite, als sie die ersten Tropfen seines zähflüssigen Geifers trafen. Gerade für sie, deren übertriebener Reinlichkeitszwang sie fest im Griff hielt, war dies ihre ganz persönliche Hölle. Der schnappende Kiefer kam immer näher zu ihrem Hals, als ihre Arme langsam unter dem Gewicht des Monsters schwächer und schwächer wurden. Sie kniff wimmernd ihre Augen zusammen, wollte nicht sehen was gleich mit ihr geschehen würde, hörte das schreckliche Geräusch des unerbittlich zuschnappenden Kiefers nur noch wenige Zentimeter vor sich. Umso mehr erschrak sie, als von einer Sekunde zur anderen das Gewicht des Angreifers von ihrem Körper gerissen wurde. Sie öffnete die Augen und sah Yuri über sich, der mit der linken Hand den zappelnden Crawler am Genick hochgehoben hatte. Noch nie war sie über seinen Anblick so erfreut gewesen. Mit der Rechten rammte er sein Kampfmesser tief in den Hals des Monsters und zog die Klinge mit einem schnellen Ruck hindurch. Das Wesen, das noch zu schreien versuchte, stieß jedoch nur ein hilfloses Gurgeln aus während schäumendes Blut aus seinem Hals sprudelte. Abigail zitterte am ganzen Körper, als sie Yuri beobachtete. Sie wusste wie stark er war, aber er schien nunmehr in einen wahnsinnigen Kampfrausch verfallen zu sein. Der Crawler musste etwa 60 Kilogramm wiegen und er hielt ihn mit nur einer Hand hoch, als hätte dieser kein Gewicht. Als dann ein lautes Brüllen hinter ihm erschallte, drehte sich Yuri um und sah in die Augen des großen Crawlers mit den vielen Tätowierungen auf dem Körper. Umhüllt von den Lichtstrahlen des Scheinwerfers sah er aus wie eine Kreatur, die geradewegs aus der Hölle gekrochen war. Der Alpha-Crawler breitete provozierend die Arme aus und starrte den Hünen aus seinen toten Augen an. Wieder brüllte er schrill in dessen Richtung und schlug sich mit der Faust auf die Brust. Yuris Rage kannte nun keine Grenzen mehr. Er hielt den leblosen Körper des Crawlers vor sich, den er eben noch von Abigail gehoben hatte, zog sein Kampfmesser aus dessen Hals und ließ es zu Boden fallen. Dann grub er die Finger beider Hände in den aufgeschnittenen Hals der Kreatur und begann, langsam den Kopf vom Rumpf zu reißen. Die Ärmel der Lederjacke spannten sich eng um die prallen Muskeln seiner gigantischen Arme, während sich der Kopf seines Opfers immer weiter mit einem grässlichen Geräusch von reissendem Fleisch und dem Brechen der Wirbelsäule vom Körper löste. Er ließ dabei den Alpha nicht aus den Augen, der nunmehr im Lichtkegel stehen geblieben war und nicht mehr näher kam. Mit einem letzten Ruck trennte Yuri den Kopf ab und der Körper des Crawler plumpste zu Boden. Der Hüne hielt den Kopf vor sich wie eine Trophäe, an dessen unterem Ende noch ein Stück der tropfenden Wirbelsäule baumelte. Dann warf er ihn direkt in Richtung des Alphas und er landete rollend knapp vor dessen Füßen. Knurrend marschierte Yuri langsam mit starren Blick auf den Alpha zu, seine blutverschmierten Hände zu Fäusten geballt. Er würde diesen Crawler vernichten, dafür brauchte er keine Waffen mehr. Er würde ihn zerbrechen wie einen morschen Zweig. Der Alpha hingegen war im ersten Moment unfähig zu jeglicher Handlung. Sein Instinkt befahl ihm anzugreifen, aber etwas hinderte ihn daran. Es war ein längst vergessenes Gefühl, das nun in ihm aufstieg und langsam die Oberhand gewann. Eine Spur die hineinreichte in eine längst vergangene Zeit, ein längst vergangenes Dasein. Es war Angst. Pure Angst. Er erkannte, dass er gegen diesen Menschen keine Chance haben würde, dass er ihm in jeglicher Hinsicht heillos unterlegen war. Diese Demonstration von Kraft und Unerbittlichkeit ließen ihn seinen nahenden Tod erkennen. Ein letzter Funke alten Verstandes überlagerte schließlich die seinen Körper antreibenden Instinkte und er öffnete seinen Mund für einen weiteren markerschütternden Schrei, wich zurück, drehte sich dann um und rannte in den Tunnel. Er rannte in die entgegengesetzte Richtung aus der er und sein Rudel die TRAP-Agenten verfolgt hatten. Die wenigen noch verbliebenen Crawler hörten auf den Schrei des Alphas und flüchteten dann ebenfalls, folgten ihm. Yuri, der sich bereits auf einen weiteren erbitterten Kampf eingestellt hatte brauchte einen Moment um zu realisieren, dass die Gegner die Flucht ergriffen hatten und atmete tief durch. Sofort drehte er sich um und ging zu Abigail zurück, half ihr auf die Beine.
„Du hast mir das Leben gerettet“, flüsterte sie immer noch zitternd. „Vielen Dank.“
„Nicht ist Problem. Dafür hast du vorhin gekauft Bahnticket für mich“, nickte er und winkte ab. Abigail musste daraufhin lachen, denn sie fand diese Antwort auf absurde Weise ziemlich niedlich. Wahrscheinlich war es auch die Erleichterung, dem Tod gerade eben so noch entkommen zu sein, die nun von ihr abfiel.
„Ich kann dir nächstes Mal auch gerne mein Schwert leihen, dann musst du die Crawlerköpfe nicht einzeln abreißen“, sagte Harry grinsend, der mittlerweile zu den beiden gehumpelt war und sich die Seite mit den erneut gebrochenen Rippen hielt. Sein Katana lag locker in der anderen Hand, es ruhte mit der blutverschmierten Klinge auf seiner rechten Schulter. „Seid ihr okay?“
„Danke, nur kleinere Schürfwunden und ein paar blaue Flecken. Yuri hat Schlimmeres verhindert“, berichtete Abigail und lud ihren Revolver erneut. „Was ist mit dir?“, fragte sie dann besorgt als ihr gewahr wurde, dass Harry sich die Seite hielt und das Gesicht voller Blut hatte.
„Eines von den Viechern hat mich umgerissen und ich glaube ich habe mir die Rippen wieder an der Schiene gebrochen. Bin direkt darauf gefallen“, antwortete Harry. Die Schmerzen wurden bereits stärker, denn der Adrenalinschub des Kampfes verflog langsam. Er zog vorsichtig seinen Rucksack von den Schultern und holte zwei Gegenstände daraus hervor.
„Das ist übrigens die Sicherung. Ich konnte tatsächlich noch eine aus dem Vorratslager holen, bevor die Viecher auf mich aufmerksam geworden sind“, erklärte er und zeigte seinen Kameraden eine handgroße Milchglasröhre, die an beiden Enden mit goldenen Kappen versiegelt war. Dann öffnete er den zweiten Gegenstand. Es war eine kleine schwarze Box mit zwei Spritzen und Ampullen, die Schmerzmittel enthielten. Seit dem letzten Auftrag auf der Luxusyacht trug er immer welche bei sich. „Vielleicht könnt ihr mir gleich eine von denen setzen, wenn wir nach den Wachleuten geschaut haben“, schlug er vor.
„Die können warten“, zuckte Abigail mit den Schultern und deutete auf die weiter hinten liegenden Körper. „Die sind leider tot, keiner von denen rührt sich mehr. Die Crawler haben ganze Arbeit geleistet.“
„Schade, hatte mir schon intelligente Fragen überlegt zu große Stahltüre hier“, brummte Yuri und griff sich eine von Harrys Spritzen. Durch seine militärische Ausbildung hatte er zumindest solide Grundkenntnisse in der Versorgung von Wunden, Erste-Hilfe und dem Schienen von Knochenbrüchen. Leider konnte man Rippen nicht schienen. Als Harry langsam seinen Oberkörper freilegte erkannten sie, dass er zumindest einmal mehr Glück im Unglück gehabt hatte. Es war abermals kein offener Bruch. Vorsichtig und mit überraschend großem Geschick setzte Yuri die Spritze unter den betroffenen Rippenbogen und drückte die Flüssigkeit langsam ins Gewebe. Die zweite Spritze setzte er sich selbst in den angebissenen Oberschenkel.
„Wir müssen wieder an die Oberfläche, du musst ins Krankenhaus“, stellte Abigail bedrückt zu Harry fest.
„Auf keinen Fall, ich mache weiter“, antwortete er und presste die Lippen aufeinander.
„Aber…“, setzte Abigail an, wurde jedoch sofort von ihm unterbrochen.
„Wir sind schon einen Schritt weiter. Immerhin wissen wir jetzt, dass sie die Flucht ergreifen wenn man es richtig anpackt“, grinste Harry, hustete dann und verzog das Gesicht vor Schmerz. „Das haben die ganzen Sicherheitskräfte und Polizisten nämlich noch nicht geschafft.“
„Die haben auch keinen Yuri“, sagte Abigail lächelnd und sah hoch zu dem Hünen, der wieder zu den toten Wachleuten schaute und sich dabei den Bart zwirbelte, nachdem er die leeren Spritzen hinter sich auf den Boden geworfen hatte.
„Dabei sein so einfach… kaum reißt man einem ab Kopf, fangen die anderen zu rennen an“, sprach er und stapfte dann auf die Körper der Wachleute zu, um diese zu untersuchen. Abigail machte sich währenddessen daran, Harrys Schutzweste auf der Innenseite mit ein paar behelfsmäßigen Bandagen zu polstern und ihm so Entlastung zu verschaffen. Kurze Zeit später war Yuri auch schon zurück. Er hatte seine Pistole und sein Kampfmesser wieder aufgesammelt und die beiden Maschinenpistolen samt Munition von den Wachleuten mitgebracht. Eine davon drückte er Abigail zusammen mit ein paar Magazinen in die Hand. Sie machte große Augen.
„Boah!“, platzte es aus ihr hervor und sie drehte die Waffe neugierig in ihren Händen.
„Gut festhalten beim Abdrücken, sonst du fliegst weg. Rückstoß wie Pferdetritt“, grinste Yuri. „Sonst nicht viel haben Interessantes gehabt, aber hier…“, sagte er und hielt eine rote Chipkarte nach oben.
„Das ist ein Schlüssel“, stellte Abigail nach einem prüfenden Blick fest und drehte sich zu der Stahltüre um. Auf der rechten Seite befand sich ein kleiner, in die Felswand eingelassener Kasten mit zwei schwachen Lichtern und einem Schlitz.
„Auf Overall von den Typen ist am Rücken Symbol mit Blitz, ist Hochspannung“, berichtete Yuri dann.
„Was?“, fragte Harry erstaunt. „Sind das etwa… Elektriker gewesen? Elektriker mit Maschinenpistolen, die irgendwo in den U-Bahn-Schächten vor einer großen Stahltüre Wache schieben, während hier unten eine lebensgefährliche Plage von sonderbaren Horrorkreaturen ausgebrochen ist?“
„So schaut aus“, nickte Yuri und drehte die Chipkarte zwischen seinen Fingern.
„Ich sag’s nur ungern Leute, aber das alles reicht noch nicht für die Villa am Nordstrand“, seufzte Abigail und hielt ihre neue Maschinenpistole nun eng am Körper. Mit ihr fühlte sie sich etwas sicherer.
„Wie ist Plan?“, fragte Yuri und sah zu der Computerspezialistin. Sie schürzte die Lippen und überlegte kurz.
„Wir liefern gleich wie versprochen die Sicherung bei der U-Bahn ab und dann schauen wir uns an, was sich hinter der Stahltüre befindet. Die ganze Sache ist erstens hochgradig suspekt und zweitens will Harry ohnehin nicht ins Krankenhaus, obwohl er eigentlich sollte. Dann können wir genauso gut gleich hier unten weiter schnüffeln. Oder hat jemand eine andere Idee?“, erklärte sie nach kurzem Überlegen.
„Gut, wir machen es so“, bestätigte Harry und versuchte, eine gerade Haltung anzunehmen und weiter möglichst flach zu atmen.
„Das hier bringt uns bei der Sache mit den Crawlern nicht weiter, aber ich will zumindest wissen warum hier diese bewaffneten Elektriker rumstehen“, fügte Abigail an und kratzte sich an der Hüfte.
„Vielleicht ist das hier deren Handwerksinnung?“, grinste Harry und begann dann, in Richtung der defekten U-Bahn zu marschieren, während er sich weiter die Seite hielt. Die anderen folgten ihm. Bald mussten die Schmerzmittel zu wirken beginnen. Hoffentlich.
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