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Elysium Roman 5 – Kapitel 6: Richter und Henker


Als Harry die Türe zum Vorzimmer durchschritt, bot sich ihm ein durchaus unerwartetes Bild. Jessica Smith lag weitestgehend unbekleidet auf dem Schreibtisch und war Yuri auf höchst eindeutige Weise entgegengestreckt, der ebenfalls hüllenlos vor ihr stehend in leidenschaftlichem Werk zugange war. Seinen kräftigen, den Tisch in starkes Beben versetzenden Bewegungen und den dazu an ihn gerichteten lautstarken und geradezu fordernden Anfeuerungen der Vorzimmerdame zu urteilen, schien das Finale dieses für derlei Räumlichkeiten so unüblichen Spiels bereits in greifbare Nähe gerückt zu sein. Für Harry war es offensichtlich, dass nun nicht der Zeitpunkt war, Yuri in seiner engagierten Betätigung zu unterbrechen. Er verließ das Vorzimmer schnell durch den Eingang und trat hinaus auf den Gang. Die Türe zum Büro von Frau Dr. Malcom stand jedoch noch weit offen. Momente später und angelockt von dieser Geräuschkulisse des leidenschaftlichen Stöhnens, streckten Abigail und Kelly ihre Köpfe in das Vorzimmer und sahen, was hier vor sich ging.
„Wir ähm… sind übrigens die Agentur TRAP. Das hier ist unser Kollege, Herr Yuri Sokolov“, erklärte Abigail zu Kelly, deutete mit einer kurzen Bewegung Richtung Yuri und räusperte sich dann verlegen. Die wiederum starte ungläubig auf die Szenerie.
„Was genau macht Ihre Agentur…?“, fragte sie dann verwirrt.
„Wir nennen uns die Agentur für besondere Fälle. Also eigentlich kann man uns für fast alles buchen“, erwiderte Abigail, fast übertönt von dem nun doch sehr laut gewordenen Treiben. Die Schreibmaschine fiel in diesem Moment neben einigen anderen Utensilien mit einem Krachen vom zweckentfremdeten Tisch.
„Ja, das sehe ich“, nickte Kelly und schaute Abigail wieder offen in die Augen, was dieser aufgrund der kaum noch zu erklärenden Situation eine leichte Schamesröte ins Gesicht trieb.
„M-Mein richtiger N-Name ist Abigail Lindsay“, stotterte die Computerspezialistin. „I-Ich habe noch eine Visitenkarte in einem Geheimfach meiner Handtasche versteckt, die gebe ich Ihnen gleich damit Sie uns erreichen können…“ Gleichzeitig schalt sie sich dafür. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Sie hatte irgendwie von dieser Situation ablenken wollen, egal auf welche Weise.
„Okay“, nickte Kelly jedoch wider Erwarten.
„Was ist denn da draußen los? Wer stöhnt denn da so laut? Braucht jemand vielleicht medizinische Hilfe, ist alles in Ordnung?“, fragte Yanny besorgt aus dem Hintergrund, während sie sich den Stecker des Kabels aus dem Hinterkopf zog. Dann ging sie ebenfalls auf die Türe zu. Abigail erschrak und winkte hastig ab.
„Nein, nein, neinnein, alles völlig in Ordnung hier, alles gut!“, erklärte sie, wedelte mit den Armen und verschloss mit einer schnellen Bewegung den Durchgang wieder. Abigail wusste, dass Yanny das Gesehene natürlich würde sachlich richtig einordnen können. Allerdings war sie in manchen Dingen doch noch recht unbedarft und würde im Nachgang selbstverständlich viele Fragen stellen, so wie es ihrem wissbegierigen Wesen entsprach. Vielleicht war es im jetzigen Stadium noch etwas zu früh für den erst einige Monate alten Cyborg, in sämtliche Facetten des menschlichen Lebens einzutauchen. Immerhin wirkte sie ab und an im alltäglichen Umgang noch etwas unbeholfen und tat Dinge oder stellte Fragen, die man rein von ihrer Erscheinung her niemals erwarten würde.
„Aby, du bist ja ganz rot und schwitzt. Ist wirklich alles in Ordnung?“, fragte Yanny nochmals nach.
„Und… wer oder >was< genau sind Sie, wenn ich fragen darf?“, richtete Kelly hingegen nun das Wort direkt an Yanny. Auch der Schock, dass diese junge Frau mit spielerischer Leichtigkeit alle Sicherheitssperren ihres Unternehmens umgehen und sich sogar mühelos die Funktionen des Hauses hatte aneignen können, saß immer noch tief. Yanny wiederum zögerte mit einer Antwort, blickte zu Abigail. Die Computerspezialistin seufzte und nickte dann.

Harry trat ohne jegliche Umschweife in das Büro des Prokuristen ein. Hinter dem Schreibtisch saß ein hagerer Mann um die Sechzig mit Schnauzbart und einem in gewisser Weise leicht altertümlich wirkenden Anzug, der wie eine Mischung aus Geschäftsdress und Barockkleidung aussah. Definitiv kein Anblick, den man alle Tage zu Gesicht bekam. Sein Mittelscheitel war mit Pomade streng anliegend gekämmt und auf der Nase saß eine Lesebrille mit äußerst schmalen Gläsern, über dessen Ränder er den hereinkommenden Harry nun skeptisch beobachtete. Anscheinend war er gerade dabei gewesen, sich durch eine wichtige Akte zu arbeiten. Das Geräusch der sich öffnenden Türe hatte eine hüfthohe schwarze Dogge mit kurzem, glänzendem Fell dazu gebracht, sich neben seinem Herrn zu erheben. Der Hund fixierte Harry ebenso misstrauisch. Um seinen Hals trug er ein schwarzes Lederband mit verchromten Stacheln.
„Sie stören mich? Haben Sie sich etwa verlaufen? Ich kann mich nicht erinnern, um diese Uhrzeit einen Termin zu haben“, blaffte der Prokurist.
„Flavio Spencer?“, fragte Harry gerade so, als wäre er ein Bote, der nur mal eben ein Päckchen abgeben würde.
„Der bin ich und jetzt verlassen Sie augen…“, setzte dieser an. Harry schritt jedoch geradewegs auf ihn zu und begann den Schreibtisch so zu umrunden, dass er zuerst auf den Hund treffen würde. Er erinnerte sich daran, was er über den Kampf mit Wachhunden gelernt hatte. Wenn er jetzt einen Fehler machen und zu langsam sein würde, konnte das fatale Folgen für ihn haben.
„Das ist fantastisch, ich habe nämlich hier eine Kleinigkeit für Sie“, fiel er Spencer ins Wort. Der Hund begann sofort zu knurren, als Harry in seiner Bewegung nicht einhielt.
„Ich habe nichts bestellt, was erlauben Sie sich!“, brauste Spencer ungehalten auf. Harry stand mittlerweile bereits vor der Dogge, die nun die Zähne zeigte und noch lauter knurrte. Der Agent ging geradewegs auf sie zu. Der Hund war zu gut ausgebildet um sinnlos zu bellen. Als er merkte, dass der Eindringling nicht vor seinem Herrn stoppen würde, sprang er augenblicklich mit geöffnetem Maul auf Harry zu. Der wiederum wich in einer geistesgegenwärtigen Drehbewegung aus. Seine bloßen Hände schnellten hervor und bekamen das Halsband der Dogge im Nackenbereich zu fassen. Er packte das Band mit aller Gewalt, riss es mit aller Kraft an sich heran und zog es so eng wie nur irgend möglich, um dem Hund die Luft abzuschnüren. Die Stacheln des Halsbandes stachen in seine Handflächen, was sich in dem Moment nicht verhindern ließ. Der Kiefer des Hundes schnappte immer wieder mit dem grässlichen Klacken einer Bärenfalle ins Leere. Harry wusste, dass das Tier für all dies nichts konnte. Er tat schlichtweg das, wofür er trainiert worden war. Er beschützte einen Verbrecher. Es gab kein Zurück mehr. Harry war rasend vor Wut, zog das Halsband enger und enger. Während die Dogge verzweifelt versuchte, sich zu befreien und mit den Beinen am Boden schabte, biss er sich beim Zuschnappen schließlich auf die eigene Zunge, die er durch den Druck auf seinen Hals nicht mehr im Maul behalten konnte. Harry spürte durch das Adrenalin keine Schmerzen, als sich die Stacheln des Halsbands tief in eine Hände bohrten und sein eigenes Blut bereits auf den Hals des Tieres tropfte. Spencer hingegen schrie und beschimpfte Harry lautstark. Dann öffnete er eine Klappe auf seinem Schreibtisch und drückte auf einen großen roten Knopf.
„Der Sicherheitsdienst ist gleich da und macht dir Spinner ein Ende!“, schrie er. Harry hingegen merkte wie die Kräfte des Hundes aufgrund des Sauerstoffmangels erlahmten. Der Augenblick war gekommen. Er griff mit der Rechten unter dem Hals des Tieres hindurch, packte den Kopf und brach ihm mit einer schnellen Rotationsbewegung das Genick. Die Dogge sackte leblos auf den Boden. Spencer starrte mit aufkommender Panik auf Harry.
„Ich bin hier um Grüße zu überbringen…“, sprach Harry und ging langsam auf den Prokuristen zu, der nun versuchte, sich stolpernd zumindest vorübergehend in die Zimmerecke in Sicherheit zu bringen.
„Was willst du von mir!?“, schrie Spencer verzweifelt.
„Ich bringe Grüße von den Aon-I. Von den Unschuldigen, die bei den Plünderungen gestorben sind. Von den Unschuldigen, die aufgrund des strahlenden Drecks zu Monstern geworden sind. Von den Unschuldigen, die an den U-Bahn-Stationen durch eben diese gestorben sind…“, sagte Harry kalt und zog mit einem Griff seiner blutigen Hand einen Dolch aus einer Halterung, die an seinem rechten Unterschenkel unter seinem Hosebein verborgen gewesen war.
„Ich… ich habe Geld, ich kann dich bezahlen…“, stammelte Spencer. Harry, der nun direkt vor dem Prokuristen stand, schlug ansatzlos einen linken Haken gegen das Gesicht des seines Gegenübers. Ein Volltreffer. Ein Vorderzahn flog geradewegs gegen das Fenster und fiel auf den Teppich. Dann packte er das Scheusal mit eben dieser Linken am Hals und fixierte ihn an der Wand.
„Ich bringe Grüße… aus der Hölle…“, knurrte Harry und rammte ihm den Dolch mit der Rechten bis zum Anschlag in den Bauch. Der Blick Spencers erstarrte im Angesicht des Todes.
„Sicherheitsdienst…“, gurgelte er mit langsam erstickender Stimme.
„Gerade zu Tisch“, knurrte Harry ein weiteres Mal, drehte die Klinge im Bauch um die eigene Achse und zog sie dann mit einem Ruck quer nach oben und wieder heraus um dem Prokuristen eine größere Wunde zu versetzen, die er sehr wohl deutlich spüren würde, die es aber außerdem unmöglich machte, sein Leben doch noch in letzter Sekunde zu retten. Zu sehr waren seine inneren Organe nun verletzt. Dann ließ er den Dolch zusammen mit Spencer auf den Boden fallen, drehte sich um und verließ langsam das Büro. Seine Hände zitterten. Das Reinigungspersonal würde ihn verfluchen, so viel war sicher.


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