Elysium Roman 5 – Kapitel 9: Erfindergeist
October 13, 2023
Das Prasseln des eben aufgekommenen Regens gegen die Fensterscheiben vermischte sich mit dem gemächlichen Rauschen des Meeres. Es war ein warmer Sommertag. Die salzige Luft, die vom Strand herüber geweht wurde verband sich mit der schweren Süße des Blütendufts, der über der gesamten Yachtpromenade lag. Nicht all zu weit von der Anlegestelle der prachtvollen Sea Lord stand die TRAP-Villa. Vom obersten Stockwerk aus konnte man das Schiff von Carla Brandon mit einem Fernglas sogar problemlos beobachten, wenn es nicht gerade ausgelaufen war.
Seit dem Umzug waren ein paar Monate ins Land gezogen und alle hatten sich in der neuen Villa eingelebt. Jeder hatte sich nach Herzenslust ausgebreitet und ging seinen Lieblingsbeschäftigungen nach. Trainieren, Lesen, Fernsehen, Kochen, Essen, Dösen… Natürlich brachte dieses neue Haus aber auch Aufwendungen mit sich, an die man vorher nicht gedacht hatte. Grundsteuer war zum Beispiel etwas, mit dem sich die Agentur vorher nicht hatte auseinandersetzen brauchen. Nachdem man die Anzeige im Branchenbuch auf die neue Adresse hatte umschreiben lassen, nahm man wieder kleinere Aufträge an um die laufenden Kosten zu decken. Meist handelte es sich dabei um kurze Einsätze für Personenschutz oder Kurierfahrten für wertvolle Fracht. Zusätzlich zu den Ersparnissen, die Abigail verwaltete und wie ihren Augapfel hütete, kam man gut über die Runden. Die Zeit fühlte sich immer noch wie ein langer Urlaub an.
Im Arbeitszimmer summten zwei Lüfter. Einer gehörte zu Abigails C64-Laptop, der andere zu dem Rechner mit dem roten Gehäuse aus „alter Technologie“, den sie auf der Sea Lord erbeutet hatten. Abigail und Yanny hatten lange an Anschlüssen für Tastatur und Bildschirm gebastelt, um dieses technische Wunderwerk auch für normale Menschen zugänglich zu machen. Einzig der Cyborg hatte den Computer bisher durch ihre Buchsenverbindung am Hinterkopf bedienen können. Als zusätzliches Eingabegerät hatte Yanny einen Joystick umgebaut, den man eigentlich nur bei Münzautomaten für Computerspiele in Arcade-Hallen verwendete. Mit dem Stick konnte man jetzt einen kleinen Zeiger auf dem Bildschirm bewegen und verschiedene Symbole auf der grafischen Oberfläche per zweimaliges Klicken auf den Feuerknopf auswählen. Man sah Yanny deutlich an, wie stolz sie auf diese Erfindung war. Nachdem sie Abigail die Funktion dieser Eigenentwicklung erklärt hatte und diese sehr beeindruckt davon war und sie lobte, erläuterte sie die Neuerung dem Jagdhund Anton gegenüber noch einmal ausführlich. Der Hund betrachtete tatsächlich sehr interessiert, wie sich der kleine Pfeil auf dem Bildschirm hin- und herbewegte und schnüffelte das Gerät ab. Yanny beobachtete aus den Augenwinkeln ob die anderen Kameraden, die immer mal wieder draußen am Gang vorbeigingen, vielleicht auch diesen technischen Durchbruch zu würdigen wissen würden. Wenig später ergab sich schon die erste Gelegenheit, als Harry mit Milch und Keksen in der Türe stand, um den beiden arbeitenden Frauen eine kleine Stärkung zu bringen.
„Schau mal was ich gebaut habe, Harry! Das ist voll cool!“, begann Yanny begeistert zu erklären. Abigail musste grinsen und versteckte sich unauffällig hinter dem Bildschirm ihres Laptops.
„Ich habe diesen Joystick zu einem sogenannten >Zeigstick< umgebaut. Schau mal, du nimmst das Ding mit der Hand und kannst dann den Zeiger auf dem Bildschirm bewegen. In alle Richtungen! Schau auf meine Hände und auf den Bildschirm gleichzeitig! Hoch und runter, hoch und runter, hoch und runter, hoch und runter. Ich bin mir aber noch nicht sicher, ob ich vielleicht zu einem kleineren Modell wechseln sollte. Der ist eigentlich fast zu groß für meine Hände, oder was meinst du? Um ihn ganz zu umfassen, brauche ich fast beide und der Knopf ganz oben ist auch ein bisschen zu dick für meinen Daumen“, erläuterte sie enthusiastisch.
Harry starrte Yanny mit großen Augen an, die begeistert an dem Zeigstick rüttelte und Schweißperlen traten auf seine Stirn. „Ich… ich muss dringend weg… da steht noch äh… Joghurt auf dem Herd…“, schluckte er, stellte Kekse und Milch ab und verschwand wie ein Blitz aus dem Zimmer. „Was hat er denn? Wieso Joghurt?“, fragte Yanny verwundert. Abigail, die sich mittlerweile eine Hand vor den Mund presste um nicht loszuprusten murmelte etwas, das sich nach „ich weiß auch nicht“ anhörte. Im unteren Stockwerk hörte man die Dusche angehen und Harry kurz aufschreien. Yanny war zu verwundert, um aufgrund seiner so plötzlichen Flucht beleidigt zu sein.
„Habe ich was falsch gemacht?“
„Ich muss dir generell noch ein paar Sachen erklären, glaube ich“, stellte Abigail fest, während sie sich ihre vom unterdrückten Lachen knallroten Wangen mit den Fingern rieb. Der Cyborg nickte langsam.
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