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Welcome to the Teletext-Internet

Elysium Roman 1 – Kapitel 5: Seriöse Geschäfte


Abigail hackte geübt und schnell auf die Tastatur ein. Auf dem Bildschirm erschienen bunte Textmassen, die sie mit konzentriertem Blick nach brauchbaren Informationen überflog. Das Teletextinternet basierte in seinem Kern auf der Übertragung von Fernsehsignalen und konnte in aller Regel durch eine Zusatzbuchse in Kombination mit einem normalen Kabelanschluss genutzt werden. Eine überaus beeindruckende Erfindung, die eine gewaltige Menge an Daten in ihren 8-Bit-Heimcomputer pumpte und dort von einem mächtigen 64-Kilobyte-Arbeitsspeicher aufgefangen wurde. Sie hatte lange für dieses Gerät sparen müssen, jetzt machte es sich endlich richtig bezahlt.
„Ich hab da was gefunden“, meldete sie und deutete auf den Bildschirm. Die anderen standen um den Tisch herum und schienen nur auf diesen Satz gewartet zu haben. Sie versammelten sich alle vor dem Bildschirm und starrten auf den bunten Text. „Taiyō Electrics hat zwei verschiedene Standorte im Industrieviertel. Allerdings haben sie anscheinend in beiden Standorten Verwaltungsbüros und Werkstätten. Also für mich ist nicht ersichtlich, in welche der beiden Niederlassungen sie den Prototypen gebracht haben könnten“, sagte Abigail.
„Lass mal überlegen… kannst du dich direkt auf die Server von dem Unternehmen hacken? Vielleicht finden wir dort mehr heraus?“, vermutete Harry und fuhr sich nachdenklich übers Kinn.
„Ich versuche das mal“, nickte Abigail. Dann kramte sie in einem Stapel Floppy-Disks, der auf dem Tisch lag, bis sie die gewünschte Scheibe gefunden hatte. Ganz offensichtlich eine Raubkopie, mit rotem Filzstift beschrieben. Dann schob sie die Disk in das Floppy-Laufwerk, klappte den Sicherheitsverschluss herunter, startete das Programm mit einer sonderbar aussehenden Zeichenfolge und wartete, bis der Ladevorgang abgeschlossen war.
„Zum Glück nicht Datassette. Schlimmste, diese Dinger“, bemerkte Yuri, der gespannt auf den Bildschirm starrte.
„Ja, dann säßen wir morgen noch hier“, grinste Abigail. Nach nur fünf Minuten war das Programm namens >Lioncrack< geladen und es erschien ein mit ASCII-Art stilisierter Löwenkopf auf dem Schirm, der ein Kabel zerbiss aus dem Blitze schossen. Sie begann erneut zu tippen. „Hmm… tatsächlich, ich bin drin… Personallisten, Fuhrpark, Versicherungen… das bringt uns alles nicht weiter“, murmelte sie. „Schau mal bei den Bestellungen nach“, sagte Harry. „Ich glaube ich habe eine Idee. Wenn man etwas Neues im Bereich Technik anschafft, fehlt immer Zubehör. Immer. Das wird im Großen nicht anders sein, als im Kleinen.“ Abigail leckte sich gedankenverloren über die Lippen und blätterte sich weiter durch die Datenlisten. „Hier… hier ist etwas. Niederlassung 2 hat vorgestern einen Laser für 45.000,00 $ geliefert bekommen. Diese Investition hebt sich von der Summe her deutlich von den restlichen Anschaffungen der letzten Monate ab“, sagte sie. „Was machen mit Laser?“, fragte Yuri. „Keine Ahnung. Vielleicht messen sie damit Teile des Prototypen ab?“, überlegte Harry. „Mit einem Laser? Wat? Ein Zollstock hätte nur zwei Dollar jekostet“, lachte Ralph und tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. „Immerhin ist das schon mal ein Anhaltspunkt. Recht viel mehr haben wir nicht und all zu viel Zeit können wir uns auch nicht lassen. Dann brechen wir also in Niederlassung 2 ein und sehen uns dort um, bevor sie das Ding noch in seine Einzelteile zerlegen. Also, wenn es sich überhaupt dort befindet“, erklärte Harry. Abigail stutzte kurz. „Wissen wir eigentlich, wie der Prototyp aussieht und wie groß er ist?“, fragte sie in die Runde. Die anderen sahen sich fragend an. „Nein“, grunzte Yuri schließlich. „Besser wir kommen mit größere Auto. Ding wird nicht passen auf Rückbank, wenn wir alle sitzen drin. Ist sicher fette Teil.“ „Ja, da hat er recht“, überlegte Ralph nach kurzem Zögern und kratzte sich am Gesäß. „Wo kriegen wir denn jetzt schnell eine größere Karre her?“ „Ruf bitte nochmal die Lieferlisten auf, Aby“, bat Harry und beugte sich wieder zum Bildschirm hinunter. Während sie langsam Liste für Liste durchblätterte, folgte er mit dem Zeigefinger jedem einzelnen Posten. „Schaut mal da… Die haben einen Lieferanten für die Kantine. In den Personallisten sind keine Köche aufgeführt, sie lassen sich das Essen bereits fertig liefern und zwar von… hier: >Würstchen Productions<.“
„Das ist so ziemlich der dümmste Firmenname, den ich jemals gehört habe“, stellte Abigail fest und schüttelte verständnislos den Kopf.
„Ja, aber es scheint ein einigermaßen großes Unternehmen zu sein“, erwiderte Harry. „Den Namen habe ich am Flughafen und auf diversen Bahnhöfen auch gelesen. Mein Vorschlag wäre, dass wir einen von deren Transporter kapern und damit zur Mittagszeit in die Niederlassung fahren. Ralph macht dann die Essensausgabe und wir anderen setzen uns ab und holen den Prototypen raus.“
„Geile Idee, Alter“, sagte Ralph und schnipste dabei mit den Fingern. „Essen hab ick im Knast ooch schon ausjegeben, det is keen Problem.“
„Gut, dann wir haben Plan“, nickte Yuri. „Jetzt brauchen noch Ausrüstung. Wo finden?“
„Hier im Zentrum jeht man für Ausrüstung am besten zu Bonzo“, erläuterte Ralph und fischte eine Praline aus einer offenen Packung, die auf dem kleinen Wohnzimmertisch stand. Dann steckte er sie genüsslich in den Mund und begann zu schmatzen.
„Bonzo? Wer ist Bonzo?“, fragte Yuri nach.
„Harris D. Bonzo ist die Adresse für Waffen ohne Seriennummer und den ganzen anderen Kram, an den man sonst nur schwer ran kommt, wenn ihr versteht was ick meine. Kann euch zu ihm bringen. Er schmiert die Bullen dicke jenug um seinen Standort nicht ständig wechseln zu müssen“, erklärte Ralph. Draußen war es mittlerweile dunkel geworden, was jedoch derlei Einkäufen von den Öffnungszeiten der Läden her eher zuträglich war.
„Dann besuchen wir diesen Bonzo und sehen uns an, was er anzubieten hat. Wenn wir das heute noch erledigen können, sind wir schon morgen bereit für den Run“, sagte Harry und rieb sich in Vorfreude die Hände. Auch Abigail sprang gleich mit einem begeisterten Laut von ihrem Stuhl auf, lief zu den Kleiderhaken im Eingangsbereich und schnappte sich ihre Jacke als sie merkte, dass es nun endlich zum Einkaufen ging. Yuri und Harry sahen ihr verwundert nach, ihre gespannte Erwartung auf diese Shopping-Tour hatte sich anscheinend bereits ins Unermessliche gesteigert.
„Was steht ihr da herum und haltet Maulaffen feil? Schwingt eure faulen Beine, eene Dame lässt man nicht warten!“, krähte Ralph fröhlich zu den beiden und marschierte dann sofort hinter Abigail her, während er sich die nächste Praline in den geöffneten Mund warf.

„Eine ganz ausgezeichnete Wahl, wenn ich das mal so sagen darf“, flötete der etwa 40 Jahre alte Mann hinter dem Tresen und schürzte die rissigen Lippen. Er hatte lange ölige schwarze Haare, die ihm strähnig vom Kopf über den stoppeligen Dreitagebart herunterhingen. Gekleidet war er in ein olivgrünes Muskelshirt, um den Hals eine Kette mit zwei Militärmarken. Anscheinend hatte er vor längerer Zeit einmal bei den Streitkräften gedient. Das Auffälligste an ihm war jedoch die mechanische Prothese, die er anstelle seines eigenen linken Unterarms trug. Mit ihr hielt er eine dicke dampfende Zigarre. Er konnte die Finger und Hand dieser künstlichen Extremität problemlos bewegen, allerdings nur vergleichsweise langsam. Abigail drehte die Trommel des kleinen silbernen Revolvers und zielte in die Luft über Kimme und Korn. Die Waffe war perfekt für ihre schmalen Hände geeignet, leicht, komfortabel in der Handhabung, schnell nachzuladen, mühelos zu verstecken.
„Die will ich auf jeden Fall haben“, sagte sie begeistert. „Wie viel soll sie kosten?“ Bonzo, der Mann hinter dem Tresen grinste breit und enthüllte eine Reihe ungepflegter schwarzer Stummelzähne. Dann beugte er sich nach vorne, weit zu ihr entgegen und stützte die Unterarme ab, um ihr so nahe wie möglich zu kommen.
„Schätzchen, für so ein hübsches Wesen wie dich mache ich immer gerne einen Freundschaftspreis.“ Dann zwinkerte er ihr zu und leckte sich dabei anzüglich über die Lippen. Abigail lächelte schmal und beugte sich zu ihm, sodass nur noch eine Handbreit Platz zwischen ihren Nasen frei blieb. Ihre grünen Augen funkelten ihn an.
„Du widerlicher stinkender Schleimbeutel, ich will nicht mit dir ficken sondern nur diese Waffe hier kaufen. Also, wieviel?“, sagte sie und behielt ihr kühles Lächeln bei. Bonzo stutzte einen Moment auf diese Aussage hin, brach aber dann in ein schallendes Lachen aus.
„Sehr gut, du gefällst mir!“, bellte er und schlug mit seiner künstlichen Hand auf den Tresen, dass die Registrierkasse links von ihm nur so schepperte. „Nimm sie für 50,00 $ und erschieß den verdammten Bürgermeister damit für mich“, grölte er immer noch lachend und hielt sich den Bauch. Dann zog er eine Packung Patronen aus dem Regal hinter sich und warf sie ihr zu. „Die gehen aufs Haus, Süße.“ Abigail fing die Packung geistesgegenwärtig auf und zuckte mit den Schultern.
„Danke…“, sprach sie und drehte sich dann zu ihren Kameraden um. „Habt ihr alles?“ Yuri legte eine Pumpgun, eine weitere Pistole, ein großes Militärmesser und einige Packungen Munition auf den Ladentisch. Harry hingegen hatte sich nur für mehrere Wurfmesser entschieden. Außerdem hatte er ein Mobiltelefon und drei Walkie-Talkies gefunden.
„Das sieht alles sehr gut aus“, konstatierte Harry, als er den Warenberg begutachtete. „Was macht das zusammen…?“ Bevor er seinen Satz beenden konnte, kam Ralph aus einem der Nebenräume gestolpert und trug ein kleines Paket vorsichtig vor sich her.
„Dette hier noch“, sagte er und stellte es auf den Tresen.
„Was ist denn das?“ fragte Abigail neugierig und kam einen Schritt näher um die kleine Schrift auf der Oberfläche des Pakets besser lesen zu können.
„Dat ist ein Minilaptop. Ein kleener C64 mit 16 Bit, der neueste Scheiß, Mädchen. Der ist so klein, der würde in deine Handtasche passen, wenn du eine hättest“, lachte Ralph und fuhr sich durch die Haare. Abigail sah man den Schock über dieses Gerät deutlich an. Sie hätte nie für möglich gehalten, ein derartig modernes Modell eines Minicomputers in einer Höhle wie dieser zu sehen. Neue Technologie wie diese konnte gut 5.000,00 $ kosten. Das Paket war mit Sicherheit typischerweise von irgendeinem Lieferwagen gefallen und dann ganz zufällig hier gelandet.
„Den… können wir uns niemals leisten. Viel zu teuer“, hauchte sie mit resignierter Stimme und winkte ab.
„Bonzo du alter Hurenbock, ick hab dich nie um was jebeten wegen damals bei Brickstone Bay…“, bemerkte Ralph zu dem Händler, der daraufhin große Augen machte. „Aber du weißt jenau, dass du jetzt auch noch zwei Arschbacken aus Chrom hättest und nicht nur eine Hand, wenn ick nicht…“
„Schon gut!“, grunzte Bonzo dumpf und deutete mit einer kurzen wegwerfenden Handbewegung an, dass Ralph nicht weitersprechen sollte. Dann presste er die rissigen Lippen aufeinander und man sah ihm an, wie er im Kopf fieberhaft zu rechnen begann. Nach einigen Momenten drückte er ein „… dreihundert Dollar und keinen weniger, du Ratte“, hervor. Sichtlich mitgenommen zog er ein schmutziges Stofftaschentuch aus seiner Hosentasche und wischte sich damit den Schweiß von der Stirn. „Quetscht mir echt die Eier, Mann. Und sowas will ein alter Freund sein“, grunzte er. Abigail strahlte glücklich und Ralph drehte sich um und ging langsam in Richtung Ausgangstür.
„Ick lass schon mal den Wagen an, braucht nicht zu lange“, nuschelte er.


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