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Elysium Roman 1 – Kapitel 6: Klopf-Klopf


Dank der enormen Vergrößerungskraft des Feldstechers konnte sie den Eingang zu dem Firmengelände auch von dem etwas entfernt liegenden Flachdach des Parkhauses genau beobachten. Sie fischte das Walkie-Talkie mit spitzen Fingern aus dem Rucksack und drückte den Sprechknopf. Natürlich hatte sie es vorher ausgiebig desinfiziert.
„Könnt ihr mich hören?“, fragte sie in das Mikrofon. Es knirschte unangenehm und dann meldete sich jemand.
„Bitte Funkdisziplin ist einzuhalten, wer da sprechen“, sagte eine Stimme.
„Yuri du Idiot, ich bin’s!“, zischte Abigail genervt.
„Ich wer? Wer ist ich? Nicht kennen Yuri“, sprach es am anderen Apparat. Abigail seufzte tief und rieb sich den Nasenrücken.
„Also gut, also gut! … kleine Babyeule an Helden aus Stahl, hört ihr mich?“, sagte sie ungeduldig.
„Hier Helden aus Stahl, hören klar und deutlich. Was gibt Infos, kleine Babyeule?“, knarzte es aus dem Walkie-Talkie. Heute Nacht würde sie ihm einfach ein Kopfkissen aufs Gesicht drücken um sein Leben zu beenden, das hatte sich die Programmiererin fest vorgenommen. Und es würde ein Hochgenuss für sie werden. Bis es aber soweit war, gab es noch etwas Arbeit zu erledigen. Sie schnappte sich erneut den Feldstecher und sah hindurch.
„Die haben zwei Wachen mit Maschinenpistolen und Schutzwesten am Tor, kontrollieren alle Fahrzeuge die reinkommen. Allerdings nicht die, die wieder hinausfahren. Das spielt unserem Vorhaben in die Hände, nicht wahr?“, gab sie durch. Es dauerte einen Moment, bis die nächste Antwort kam.
„Ja ist sehr gut. Haben noch etwa eine Stunde um Würstchentransporter zu beschaffen. Hoffe bekommen einen mit große Plastikwürstchen auf Dach, weil sehr cool aussehen und Appetit anregen. Bitte beobachten weiter, melden uns wenn wir kommen“, ertönte Yuris verzerrte Stimme.
„Kein Problem, ich warte hier auf euer Zeichen. Verhungern werde ich nicht. Hab mir Erdbeerjoghurt mitgenommen“, erwiderte Abigail und kramte in ihrem Rucksack nach dem Glas und dem Löffel. Sie liebte die Sorte mit der winkenden Comicerdbeere vorne auf der Packung und hatte sich heute früh noch schnell zwei davon eingesteckt.
„Nicht essen zu viel Joghurt, sonst müssen Klo. Undercover wir nicht können gehen auf Klo, zu gefährlich“, kam es aus dem Lautsprecher.
„Nach dir aufs Klo zu gehen ist mir schon zuhause gefährlich genug, alte Stinkbombe! Babyeule Ende!“, zischte Abigail, beendete das Gespräch und schraubte grummelnd das Joghurtglas auf.

Harry sah zuerst auf seine Armbanduhr und dann auf die Kreuzung. Sie hatten die Strecke vom nächsten Würstchen-Productions-Standort zur Niederlassung 2 im Vorhinein genau studiert. Wenn der Lieferwagen die schnellste Strecke nahm, würde er mit hoher Wahrscheinlichkeit genau hier durchkommen müssen, wollte er die schlecht zu befahrenden Nebenstraßen meiden. Zum Glück war um diese Zeit nicht all zu viel los, da der größte Berufsverkehr erst wieder gegen 15 Uhr einsetzen würde. Yuri und er standen wie beiläufig mit einem Kaffeebecher in der Hand an eine Hauswand gelehnt. In der Straße gegenüber parkte Ralph und wartete nur auf ihr Zeichen.
„Wie spät jetzt?“, fragte Yuri und streichelte über seine Lederjacke. Ein Knopf war fast abgefallen. Mit einer kleinen Bewegung riss er das lose Teil ab und steckte es in seine Hosentasche.
„Gleich 11:30 Uhr“, antwortete Harry, der mittlerweile etwas nervös wurde und sich wieder umsah. Hoffentlich klappte dieser schnell zusammengezimmerte und verwegene Plan auch wirklich. Das Ganze war für seinen Geschmack etwas zu waghalsig und zu öffentlich, aber was sollte er machen? Er hatte auch keine bessere Idee gehabt.
„Wir haben Glück, ist heute mit Werbewürsten auf Dach“, stellte Yuri fest und deutete mit dem Kinn in die andere Richtung der Straße. Tatsächlich, der Lieferwagen der Catering-Firma kam diesen Weg entlang!
„Ausgezeichnet“, sagte Harry und rückte seinen leicht abgetragenen dunkelbraunen Trenchcoat zurecht, unter dem er sein Katana versteckt hatte. Er kratzte sich dann etwas exaltiert zuerst am Kopf und dann an der Nase. Ralph, der die beiden die ganze Zeit beobachtet hatte, verstand die Geste und startete den Motor des Agenturwagens, rollte langsam an. Der Transporter näherte sich weiter der Kreuzung, näher und näher. Es musste einfach klappen, dachte Harry und biss die Zähne aufeinander. Er wartete noch eine Sekunde und dann noch eine weitere. Dann formte er Daumen und Zeigefinger der rechten Hand zu einem O und hob die Hand über seinen Kopf. Ralph drückte auf diese Geste hin das Gaspedal des Wagens bis auf den Boden durch und die Hinterreifen begannen zu qualmen. Der Agenturwagen nahm Fahrt auf und brauste über die kurze Distanz auf die Kreuzung zu, ungeachtet der Tatsache, dass die Ampel für seine Spur Rot zeigte. Harry und Yuri hielten den Atem an und Schweißperlen traten auf ihre Stirn. Ralph ließ das Gaspedal los und zog die Handbremse, sodass sich sein Wagen mitten auf der Kreuzung quer stellte. Der sich nähernde Transporter bremste laut quietschend und auch die beiden Autos hinter ihm taten es ihm gleich. Immerhin gab es keinen Auffahrunfall. Die Fahrzeuge waren zum Stehen gekommen, jetzt musste es schnell gehen. Harry und Yuri holten zwei Stoffmasken aus ihren Taschen hervor, zogen sich diese blitzschnell über Mund und Nase und rannten im Eiltempo auf die Kreuzung zu. Während der Fahrer des Transporters mittlerweile das Fenster heruntergekurbelt hatte und zornig in Richtung Ralph schrie, erschrak sein Beifahrer fast zu Tode, als Harry mit einem Schwung die Wagentüre auf seiner Seite aufriss. In diese geöffnete Seite sprang Yuri, der in der gleichen Bewegung die Pistole hinten aus seiner Hose zog und sie dem Beifahrer an die Schläfe hielt.
„Nicht bewegen und halten Fresse, dann nichts passiert heute. Wir wollen uns nur leihen aus den Wagen, keiner muss verletzt werden“, rief er den beiden Männern im Führerhaus zu. Die beiden streckten augenblicklich die Hände hoch.
„Alles klar! Nicht schießen, ich will nicht wegen einem Wagen voller beschissener Hot Dogs sterben!“, schrie der Fahrer. Währenddessen war Ralph schon um die nächste Ecke gefahren und stellte seinen Wagen ab. Dann rannte er keuchend zurück zur Kreuzung.
„Ick werd zu alt für die janze Scheiße“, fluchte er, als er um die Ecke bog. Einige verängstigte Passanten liefen ihm schon mit schreckgeweiteten Augen entgegen, die den Überfall mitbekommen hatten und nun flüchteten. So wie es aussah, war im Umkreis noch niemand auf die Idee gekommen, in die nächste Telefonzelle zu springen und die Polizei zu rufen. Gut. Sehr gut sogar. Nein, schlecht. Sehr schlecht sogar.
„Verdammt!“, knurrte Ralph, der plötzlich einen vollkommen unerwarteten Polizeiwagen von rechts auf die Kreuzung zurasen sah. „Dat war so aber nicht jeplant…“ Er verlangsamte sofort seinen Schritt und suchte Deckung hinter einer nahen Plakatsäule. Jetzt war guter Rat teuer. Wenn er hier abwartete und das Ganze beobachtete, würde er vielleicht noch von Nutzen sein können.

„Große Scheiße kommen!“, rief Yuri zu Harry und zeigte in die Richtung, aus welcher der Polizeiwagen heranbrauste. Harry, der eigentlich schon auf dem Weg um die Motorhaube des Transporters herum gewesen war, um die Fahrertüre zu öffnen, hielt nun ein. Ja, es stimmte, die Scheiße kam. Dieser Plan war eine Katastrophe und zwar von Anfang an. Jetzt würden sie improvisieren müssen.
„Schlag die beiden bewusstlos, ich kümmere mich um die Bullen!“, rief er Yuri zu. Der Polizeiwagen bremste quietschend und die Türen öffneten sich. Harry rannte los so schnell er konnte und zog sein Katana.
„Mann, nicht schlagen bitte!“, schrie der Beifahrer des Transporters erschreckt, als er die Anweisung Harrys laut und deutlich gehört hatte.
„Gut“, brummte Yuri knapp, packte ihn mit einem eisernen Klammergriff am Hals und drückte zu, sodass der Mann eine Sekunde später bewusstlos nach vorne sackte und mit der Stirn auf das Handschuhfach knallte. „Jetzt du, komm her“, sagte er ruhig aber bestimmt zu dem anderen Mann, der seinen bevorstehenden k.o. nur noch mit einem verzweifelten „fuck“ kommentieren konnte.
„Lassen Sie sofort die Waffen fallen und nehmen Sie die Hände hoch“, schrie einer der beiden Polizisten, während sie noch dabei waren aus dem Auto auszusteigen. In einer ausweglosen Situation ist es immer gut etwas zu tun, was niemand von einem erwartet. Einen Zug den man nicht vorhersehen kann, kann man nur schwer kontern. Während Harry rannte sah er, dass das Fenster auf der Fahrerseite des Polizeiwagens heruntergekurbelt war. Der Polizist stand jetzt auf der Straße, seine Hand ging zu der Waffe an seinem Gürtel. Harry nahm Maß und sprang, setzte alles auf eine Karte. Er sprang und riss dabei den Griff seines Schwertes mit dem Knauf nach vorne, sprang durch das geöffnete Autofenster und rammte den Griff dabei mit voller Wucht im Flug in den Bauch des Polizisten. Dieser wurde seinerseits von dem Heranfliegenden umgerissen und stieß mit einem tiefen „Uff“ sämtliche Luft aus seinen Lungen, knallte auf den Boden und Harry rollte sich direkt auf ihm ab. Sofort rappelte er sich wieder hoch und ging neben dem Kotflügel des Wagens in Deckung. Der Polizist, auf dem er gelandet war, hatte durch den enormen Schlag in seinen Bauch augenblicklich das Bewusstsein verloren. Harry brauchte nach dieser Aktion einen Moment zur Orientierung. Er hatte sich bei dem Sprung nichts gebrochen, alle Teile waren noch dran. Dann spürte er etwas hartes in seinem Genick.
„Der Stunt war nicht schlecht, Arschloch, und jetzt wirf sofort das Schwert weg oder ich verteile deinen Kopf gleich hier auf dem Asphalt“, knurrte es hinter ihm. Der andere Polizist… er war nicht schnell genug gewesen, hatte ihn nicht kommen sehen. Harry biss die Zähne aufeinander. Wenn er seinen Kollegen mit der Klinge durchbohrt hätte, wäre er selbst nun schon längst tot gewesen, dann hätte der andere geschossen, dessen war er sich sicher. Es war dieses kleine Detail, diese eine Entscheidung im Sekundenbruchteil, die ihm wohl das Leben gerettet hatte. War dies aber jetzt das Ende für den Auftrag? Er ließ das Schwert fallen, die Klinge schlug mit einem singenden Geräusch auf dem Asphalt auf. Eine Sekunde später wurde der Polizist von den Beinen gerissen, ein kurzer Schrei, ein Schuss löste sich, zum Glück in den sonnigen Mittagshimmel und nicht in Harrys Kopf. Er hörte wie die noch verbliebenen Autos an der Kreuzung hastig wendeten und davonfuhren. Dann drehte er sich um. Er sah in Ralphs grinsendes Gesicht. Der alte Punk hielt seine eigene Pistole in der Hand, hatte offensichtlich den Polizisten mit dem Griff der Waffe von hinten niedergeschlagen.
„Aufstehen, jetzt jehts erst richtig los!“, rief er Harry aufmunternd zu. Gesagt getan. Harry sah sich um, die Kreuzung war wie leergefegt. So wie es aussah, war der Streifenwagen wirklich nur zufällig vorbeigekommen und hatte keine Verstärkung gerufen, bevor sie in die Szene eingegriffen hatten. Yuri kam zu ihnen und hatte die beiden Fahrer des Transporters über den Schultern, einen links und einen rechts.
„Wohin mit den beiden?“, fragte er trocken.
„Na ab in die Tonne mit denen, jenau wie im Nordviertel“, lachte Ralph und zeigte auf einen Müllcontainer, der tatsächlich in der Nähe der Kreuzung stand.
„Gut“, bestätigte Yuri und marschierte los. „Müllabfuhr funktionieren nicht gut in Stadt hier, aber Container überall.“
„Schnapp dir auch einen von den Dödeln!“, feixte Ralph zu Harry und wuchtete den Polizisten hoch, der direkt vor ihm lag. Harry starrte kurz auf seine Kameraden die in Richtung Müllcontainer unterwegs waren.
„Ach scheiße…“, sagte er seufzend und begann dann den Polizisten hinter sich herzuschleifen, den er selbst bewusstlos geschlagen hatte. Als die vier Männer in dem Container verstaut waren, zog Yuri den Deckel zu und verschnürte die Verschlussringe von außen mit einem Stück Draht, das er glücklicherweise oben auf dem Müll gefunden hatte.
„Jetzt fahre ick erstmal die Bullenkarre in eine Seitenstraße und dann fangen wir an Jungs. Schnallt euch schon mal die Windeln fest“, johlte Ralph und ging zurück zum Transporter. Mittlerweile fuhren auch wieder einige andere Autos an der Kreuzung durch, langsam an dem Transporter und dem Polizeiwagen vorbei. Keiner hielt an.


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