Skip to content

**** ****

Welcome to the Teletext-Internet

Elysium Roman 5 – Kapitel 4: Die Höhle des Löwen


Seit dem Telefonat mit der Mordkommission waren zwei Nächte vergangen. Die Sonne war noch immer im Aufgehen begriffen als Ralph den Zündschlüssel im Schloss drehte, um den Motor abzustellen. Mit einem nächsten Griff zog er die Handbremse an, was ein geradezu markerschütterndes Knarzen auslöste und den von seinem Fahrer vielgepriesenen unverwechselbaren Charakter des Wagens einmal mehr unterstrich. Dann öffnete der Punk das Handschuhfach über Harrys Schoß, zog eines der Walkie-Talkies hervor und stellte es auf Empfang. Da es keine Parkplätze direkt vor dem Eingang des zum Atomkraftwerk gehörenden Bürogebäudes gegeben hatte, war er etwas abseits stehen geblieben.
„Da wären wir“, grinste er. „Allet wie immer, ihr meldet euch kurz bevor ihr da rausrennt. Gebt einem alten Herrn aber ne Minute Vorlauf, okay? Ick kann ooch nicht fliegen.“
„Geht klar“, sprach Yuri, der direkt hinter ihm saß.
„Tut mir richtig leid, dass ick heute nicht mitkommen kann“, fügte Ralph mit einem bedauernden Unterton an. Als Fluchtwagenfahrer war es sein Job in ständiger Alarmbereitschaft zu warten und das war weit anspruchsvoller, als es sich im ersten Moment anhörte. „Hat man ja schließlich nicht alle Tage, dass man ein paar richtig dicken Fischen den Kopf wegpusten kann.“
„Haben nur kleine Waffen dabei für ganz kleine Löcher. Kopf wird bleiben auf Hals“, erwiderte Yuri ausdruckslos und stieg aus dem Auto, um Abigail und Yanny Platz zu machen. Einmal mehr war es in Ralphs altem Wagen auf der Rückbank ziemlich eng geworden. Nun schälten sich auch die beiden Damen aus dem Kleinwagen, während es Harry vom Beifahrersitz aus wesentlich leichter hatte ins Freie zu gelangen. Sie alle hatten seriöse Geschäftskleidung angezogen und wirkten tatsächlich so, als wären sie Journalisten des Daily Observers. Die eingeschweißten, gefälschten Presseausweise baumelten an blauen Plastikbändern um ihre Hälse, sie waren gestern Abend per Eilbote im TRAP-Hauptquartier abgegeben worden. Einmal mehr hatte sich eine gewisse Isabella Stone um diese Angelegenheit gekümmert, die Vorzimmersekretärin des Bürgermeisters persönlich. Will Morgan hatte sie um diesen Gefallen gebeten, jedoch mehr um den Kontakt mit ihr zu halten, denn auch bei der Mordkommission hätte man die Ausweise fälschen können. Stone hatte es kurzfristig sogar geschafft, dass das Unternehmen, das normalerweise die echten Ausweise herstellte, nun auch diese Versionen angefertigt hatte. Von diesen im Hintergrund abgelaufenen Details ahnten die TRAP-Agenten jedoch nichts.

Yanny trug als zusätzliche Tarnung eine professionelle Kamera mit langem Objektiv bei sich und sah in ihrem perfekt gebügelten grauen Kostüm und mit dem akkurat gebundenen Pferdeschwanz so aus, als wäre sie eine routinierte Pressefotografin. Einzig für Yuri war es schwieriger gewesen, in der kurzen Zeit einen gut sitzenden Anzug in seiner Größe zu finden. Der Smoking, den er vor Monaten auf der Sea Lord getragen hatte, wäre für diesen Termin nicht in Frage gekommen. Eine eingehende Recherche hatte ihn schließlich zu einem Laden für Stripper-Spezialbedarf gebracht, die auf so muskulöse Staturen wie die seine eingerichtet waren. Immerhin waren die zahlreichen Klettverschlüsse des dunkelbraunen Anzugs den er jetzt trug so gut verborgen, dass man keinerlei Verdacht schöpfte. Der zusätzliche Kauf einer Feuerwehrmann-Uniform mit roten Lackhosen der Marke >Hot Boy< auf Agenturkosten war von den anderen jedoch kategorisch abgelehnt worden, was Yuri äußerst missmutig zur Kenntnis genommen hatte. Sowohl Abigail als auch Harry hatten sich hingegen auf schlichte schwarze Eleganz bei ihrer Kleiderwahl verlassen.

Nach einer kurzen Verabschiedung setzten sich die vier in Gang, während Ralph wieder auf dem Fahrersitz Platz nahm und einmal mehr das abgegriffene Kreuzworträtselheft mit den Bildern der Pin-Up-Girls aus dem Handschuhfach zog.

„Kann sich jeder noch an seinen Decknamen erinnern?“, fragte Abigail beiläufig in die Runde, während sie auf den Haupteingang des Zentralgebäudes der Verwaltung zugingen. Rote Sonnenstrahlen beschienen die weiße Kuppel und die beiden gigantischen Kühltürme im Hintergrund, die ununterbrochen mächtige Dampfschwaden ausstießen. Das Kraftwerk selbst war noch etwa hundert Meter entfernt, das Gelände durch einen hohen Stacheldrahtzaun geschützt.
„Ja“, antwortete Yanny knapp. Abigail biss sich auf die Unterlippe. Natürlich erinnerte sich der Cyborg. Es war auch ein Kinderspiel, wenn man jede beliebige Information in seinem Kopf abspeichern konnte. Dann linste sie zu Yuri, der wiederum einen schnellen Blick zurück zu Abigail warf.
„Bimmy Bobkins“, murmelte er schließlich durch die geschlossenen Zahnreihen.
„Jaden Jankins“, korrigierte ihn Abigail und seufzte. Man konnte nur hoffen, dass der Auftrag nicht noch in letzter Sekunde an einer solchen Kleinigkeit scheitern würde.
„Egal ist, ich schauen einfach nochmal auf Ausweis wenn jemand fragen, dann ablesen“, zuckte Yuri mit den Schultern. Es war ihm anzumerken, dass ihm das Tragen eines amerikanischen Decknamen ordentlich gegen den Strich ging.
„Ja eben, da hörst du es, sei nicht so pingelig“, sagte Harry mit leicht ironischem Unterton gen Abigail und lächelte. Es war ein kurzer Moment, der seine immer noch so verbissene Haltung aufgelockert hatte.

Die automatische Schiebetüre öffnete sich schwungvoll und gab den Weg in einen ausladenden Eingangsbereich frei, als die Agenten in die Nähe des Sensors traten. Die großzügig verteilten Überwachungskameras hatten sie bereits ins Visier genommen. Der Parkettboden, die Wände, die Rezeption, der Wartebereich mit der großen Sitzecke und den Beistelltischen, alles war in der gleichen schwarz-goldenen Optik gehalten und machte einen sehr feudalen, geradezu noblen Eindruck.
„Also Geschmack haben sie hier. Hätte eher gedacht, dass uns eine Mischung aus Krankenhaus- und Laborcharme erwartet“, flüsterte Abigail zu Harry.
„Mhm“, brummte der bestätigend und lächelte dann den beiden Damen in den einheitlichen Kostümen hinter den Empfangstresen zu. Sie trugen Stewardess-Hauben auf denen das Symbol von POWERS prangte. Das Symbol war ebenso mit einigen Meter Durchmesser in den Boden des Eingangsbereichs eingearbeitet worden. „Einen schönen guten Morgen wünsche ich. Wir sind die Leute vom Daily Observer und haben um halb acht einen Termin bei Frau Dr. Malcom“, sprach er dann freundlich in Richtung der Damen.
„Guten Morgen, sehr gerne und willkommen bei POWERS Generating Plant. Dürften wir nur kurz Ihre Ausweise kontrollieren?“, gab eine der beiden Damen zurück.
„Aber klar“, sagte Yuri und stapfte vorneweg auf den Tresen zu. Abigails Lippen kräuselten sich und sie folgte ihm umgehend. Ihre Sorge war jedoch unbegründet gewesen. Man begnügte sich mit einer einfachen Kontrolle, schlug die vorgegebenen Decknamen in einer Besucherliste nach, setzte ein paar Haken dahinter und bat die vier vermeintlichen Journalisten kurz zu warten. Nach etwa fünf Minuten kam ein Herr vom Sicherheitsdienst mit dem Aufzug nach unten und wies die Besucher an, man möge ihm in das Stockwerk der Geschäftsleitung folgen. So weit, so normal. So weit, so unverdächtig. Als sie schließlich zusammen im Aufzug standen, trafen sich Harrys und Yuris Blicke. Sie hatten beide im gleichen Moment den gleichen Gedanken. Der Mann vom Sicherheitsdienst trug eine Uniform, die ihnen aus dem Untergrund bereits bekannt war. Sie hatten diese in der Stadt der Aon-I an einigen menschlichen Leichen gesehen, die im Kampf gegen die Crawler und die Krieger gestorben waren, die versucht hatten ihre Familien gegen die technisch überlegenen Waffen zu verteidigen. An dem Gürtel des Mannes hing in einem Holster eine gesicherte Pistole. Harry fixierte den Mann mit kalten Augen, versuchte sich zu beruhigen, versuchte seinen durch die Erinnerungen aufflammenden Zorn nicht die Oberhand gewinnen zu lassen, ballte eine Faust hinter seinem Rücken. So fest, dass das Weiße an seinen Knöcheln hervortrat. Yuri hielt seinen Blick und schüttelte unmerklich den Kopf. Er wusste genau was in seinem Kameraden vorging, konnte es spüren. Harry hingegen zuckte kurz zusammen und erwachte wie aus einem Traum, als er Yannys Berührung hinter sich auf seiner Faust spürte. Auch sie hatte seinen Zustand bemerkt.
„Wie ist das Leben denn so als Journalist? Sie lernen doch sicher eine Menge berühmter Leute kennen“, fragte der Mann vom Sicherheitsdienst, dem die Atmosphäre im Aufzug nun auch etwas unnatürlich angespannt vorkam. Anscheinend wollte er die Stimmung mit etwas Smalltalk auflockern.
„Es geht so. Die Hauptarbeit sind eher kleine Reportagen und Berichte, nichts besonderes. Der Termin heute ist im Gegensatz zu den ganzen alltäglichen Sachen schon eher eine größere Begebenheit“, erwiderte Yanny freundlich.
„Also kein Glanz und Glamour, keine wilden Parties? Man sagt, die Empfänge vom Bürgermeister sollen immer recht wild sein. Sie waren auch noch nicht bei einer der Feten von Carla Brandon am Nordstrand? Seit ihr Mann tot ist, scheint es dort so richtig abzugehen“, antwortete der Mann etwas enttäuscht.
„Eher nicht. Aber wer weiß, vielleicht werden wir ja doch irgendwann mal in die High Society geschickt“, entgegnete Yanny abermals freundlich.
„Vielleicht Sie sollten wechseln Beruf und mehr gehen auf Party?“, warf Yuri ein.
„Als was denn?“, fragte der Mann erstaunt zurück.
„Erdnussanreicher vielleicht?“, meinte Yuri und sah mit unbewegter Miene auf den Mann herunter, den er um Haupteslänge überragte.
„Ich wünschte es mir“, grinste dieser schließlich, weil er es für einen Scherz gehalten hatte und im gleichen Moment öffnete sich die Aufzugtüre. „Neunter und letzter Stock, wir sind da“, erklärte er, stieg aus und deutete den anderen ihm zu folgen. Ihr Weg führte sie an einigen Büros und Besprechungsräumen vorbei. Zwei Abzweigungen später standen sie vor einer weiteren Türe. „Einfach hier anmelden, das ist das Vorzimmer von Frau Dr. Malcom. Ich werde zu gegebener Zeit kommen und Sie wieder abholen“, verabschiedete sich der Wachmann schließlich, machte auf dem Absatz kehrt und ging schnurstracks zum Aufzug zurück. Als er außer Hörweite war, flüsterte Harry:
„Einer von uns muss das Vorzimmer ablenken, damit die anderen freies Spiel haben. Die dürfen auf keinen Fall auf die Idee kommen, das Chefbüro zu betreten oder sonst irgendetwas zu tun, was unsere Aktion stört.“
„Wer von uns?“, fragte Abigail nach.
„Entscheiden wir, wenn wir drin sind“, gab Harry zurück und fuhr sich mit einer schnellen Bewegung durch die Haare. Dann öffnete er die Türe zum Vorzimmer und die Agenten traten ein.
„Guten Morgen, wir sind vom Daily Observer und hier wegen des Interviews mit Frau Dr. Malcom“, begrüßte Yanny eine Dame mit langen brünetten Haaren, die gerade dabei war in einer beeindruckenden Geschwindigkeit auf eine Schreibmaschine einzuhacken.
„Ahja guten Morgen, einen Moment noch bitte…“, murmelte sie und schrieb ihren angefangenen Satz zu Ende. Als sie dann jedoch ihre Augen vom Papier löste und aufsah, blickte sie auf Yuri, der sich direkt vor ihr aufgebaut hatte.
„Guten Morgen Madame“, sprach er mit seinem ruhigen Bass.
„Ja… ähm oh… guten Morgen“, sagte sie nun nochmal sichtlich verwirrt, angetan von seiner stattlichen Größe und seinem zweifellos athletischen Körperbau, den man trotz des Anzugs mit Leichtigkeit erahnen konnte. Es hatte den Anschein, als hätte er bei ihr eine kleine Schwachstelle getroffen. Abigail, die die Bedeutung des verträumten Blicks im Gesicht der Vorzimmerdame sehr gut deuten konnte, wusste das Momentum sofort für sich zu nutzen. Besser hätte es für sie nicht laufen können.
„Wir gehen dann schon mal durch, okay? Machen Sie sich keine Umstände, wir sind ja bereits angekündigt“, flötete sie zu der Dame und machte Harry und Yanny ein Handzeichen.
„Gerne“, bestätigte die Vorzimmerdame.
„Darf ich vielleicht erfahren Ihren Namen, damit ich ihn vor mich kann hersagen, wenn ich heute Nacht schlaflos werde blicken in Sternenhimmel?“, brummte Yuri der Dame zu, stützte sich mit den Händen auf ihrem Schreibtisch ab und beugte sich somit etwas zu ihr hinunter. Zu alledem musste er sich nicht überwinden. Die Frau gefiel ihm gut und dieser Einsatz nahm für ihn gerade eine doch sehr überraschende Wendung, mit der er keinesfalls gerechnet hatte. Sollte seine Aufgabe für die Gruppe nun darin bestehen mit einer attraktiven Dame zu flirten, war dies in jedem Fall eine neue Erfahrung zu den Dingen, um die er sich sonst kümmern musste.
„Finden Sie nicht, dass das etwas sehr direkt ist?“, schmunzelte die Dame und errötete leicht. „Jessica Smith ist mein Name. Leicht zu merken, nicht wahr? Den können Sie meinetwegen gerne vor sich hersagen. Darf ich den Ihren vielleicht auch erfahren?“, erwiderte Jessica.
„Jaden Jankins der Name“, sagte Yuri in seinem schweren russischen Akzent und Jessica zog daraufhin eine Augenbraue hoch. Dann kicherte sie und hielt sich dabei die Hand vor den Mund.
„Wirklich? Passt nicht so recht zu Ihnen, finde ich.“ Dann nahm sie einen neben der Schreibmaschine liegenden Bleistift auf und umschloss dessen Ende mit ihren Lippen, während ihr Blick gebannt Yuris rechter Hand folgte, der ganz langsam begann seine Krawatte zu lockern.
„Ja finde auch. Meine Freunde deshalb nennen mich >Bimmy<“, erwiderte er und zwinkerte ihr zu. Wieder kicherte sie.
„Das ist ein komischer Spitzname, gibt es dazu vielleicht eine Geschichte?“
„Ist eigentlich Künstlername für meine Zweitberuf Hobbyzauberer. Willst du mal sehen Trick?“, grinste Yuri und ging nun zu einer vertraulicheren Anrede über.
„Klar!“, schmunzelte Jessica, die durch die Unterhaltung mit dem stattlichen Mann bereits völlig vergessen zu haben schien, dass sie eigentlich noch andere Arbeit zu erledigen hatte.
„Gut, gut“, nickte Yuri. Dann baute er sich wieder zu voller Größe vor ihr auf, legte seine rechte Hand an die linke Schulter seines Anzugs und die linke Hand an die rechte Seite seiner Hose. Im nächsten Moment riss er mit voller Wucht an der Kleidung. Der Anzug aus dem Stripperbedarfladen gab augenblicklich nach und ein lautes Ratschen später stand er nur noch in eng anliegenden schwarzen Unterhosen vor ihr. Sie starrte ihn mit offenem Mund an als er die Anzugteile mit einer lässigen Bewegung zu Boden fallen ließ, starrte auf seine durchtrainierten Körper, seine breiten Schultern, seine gewaltigen Arme. Yuri nahm ihre Reaktion genau wahr, legte die Hände in die Hüften und spannte die Muskeln extra an um seine ohnehin schon beeindruckende Gestalt noch definierter Wirken zu lassen.
„Ich… ich glaube ich träume… ich träume das alles doch nur?“, hauchte Jessica atemlos und während sie sprach, fiel ihr der Bleistift aus dem Mund.
„Finden wirs raus…“, schlug Yuri vor und sah ihr dabei tief in die Augen.


Categorized as: Roman 5 (DE) | Romankapitel (DE)

Comments are disabled on this post


Comments are closed.