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Elysium Roman 6 – Kapitel 2: Der lange Weg nach Süden


Sergej hielt sich tapfer an der Querstrebe fest, die unweit der Vorderachse des Transporters für die nötige Stabilität des Fahrzeugs sorgte, während der schwere Dieselmotor über ihm dröhnte. Er hatte sich in der vergangenen Nacht eine eng gespannte Aufhängung aus drei breiten Ledergürteln gebastelt, um sich unter dem Lastwagen als blinder Passagier verstecken zu können. Allerdings hatte er doch die permanenten Erschütterungen des Fahrzeugs aufgrund der schlechten Straßenverhältnisse unterschätzt, wie er sich nun schmerzlich eingestehen musste. Zu oft musste er die Schwankungen mit seinen Armen ausgleichen, um das Gleichgewicht zu halten und nicht abzurutschen. Wenn er dabei einen Fehler machte, würde er im schlimmsten Fall kilometerweit zu Tode geschleift werden.
„So eine verdammte Scheißidee!“, zischte er ärgerlich und verbissen zu sich selbst, während ihm die Arme immer müder und länger zu werden schienen. Auf dem Parkplatz, auf dem die Reise begonnen hatte, hatte es keine Möglichkeit gegeben sich wenigstens im Innenraum einer der Lastwagen zu verstecken, die nun auf dem Weg in Richtung Süden waren. Auf dem Weg in Richtung Elysium. Es handelte sich hierbei allerdings nicht um normale Militärtransporter, sondern um Fahrzeuge dieser mysteriösen Spezialeinheit, zu der jetzt auch sein Bruder gehörte. Sie waren schwarz lackiert und trugen das Bild des Bärenkopfs mit den gekreuzten Schwertern auf den Türen der Führerhäuser. Es war das Symbol der Prizraki, der >Geister<. Der Lord hatte ihm ein weiteres Mal geholfen und ihm auf telefonischem Weg die Information gegeben, wann und wo genau die Abfahrt seines Bruders stattfinden würde. Diesmal wollte er dafür jedoch keine andere Gegenleistung haben als einen ausführlichen persönlichen Bericht von Sergej, wenn dieser wieder zurück im Norden war. Dieser exzentrische Mann schien selbst sehr neugierig darauf zu sein, wie sich diese Sache weiter entwickeln würde.

Der Konvoi war inzwischen unerwarteterweise auf ganze acht Fahrzeuge angewachsen. Den drei Transportern vom Parkplatz hatten sich zwei Tankwagen, zwei leichte Panzer und ein weiterer Lastwagen eines Außenpostens angeschlossen. In einem der ersten drei Transporter befand sich nach Aussage des Lords also sein Bruder Artjom. Der musste allerdings bereits vor der Ankunft von Sergej dort hinein verladen worden sein, denn er hatte nicht mitbekommen, dass Artjom eingestiegen wäre, während er schon in seiner provisorischen und unbequemen Hängematte die Nacht durch auf die Abfahrt gewartet hatte. Um das Zeitgefühl nicht zu verlieren, hatte sich Sergej noch vor dieser Aktion eine Armbanduhr von einem fahrenden Händler besorgt. Leider schien sie nicht allzu zuverlässig zu sein, der Minutenzeiger blieb viel zu leicht am Stundenzeiger hängen. Die permanenten Erschütterungen dieser Fahrt waren der Funktion der Uhr allerdings zuträglich. Ein Blick auf das Zifferblatt verriet ihm, dass die Reise inzwischen viereinhalb Stunden dauerte, als die Kolonne mit einem Mal in einem Waldstück stoppte. Er seufzte und ließ seine Arme erschöpft nach hinten fallen, sodass sie fast den Boden berührten. Endlich eine Pause. Aber Moment, warum machten sie hier auf freier Strecke halt? Das Gebiet war so gut wie unbesiedelt. Trotzdem hätte es wohl zwischenzeitlich die Gelegenheit gegeben, wenigstens bei einem der winzigen Orte zu halten, die alle 70 bis 80 Kilometer an dieser Straße lagen. Als sich die Türen der Fahrzeuge öffneten und die Soldaten ausstiegen und sich unterhielten, wurde jedoch schnell klar wo das Problem lag. Anscheinend waren zwei Bäume umgestürzt und blockierten den Weg. Sergej drehte den Kopf mühsam und sah sich um, so weit es ihm möglich war. Die dicken, großen Reifen der anderen Fahrzeuge, die Beine der Soldaten, dann entdeckte er die Baumstämme… Der Konvoi konnte dem Hindernis nicht ausweichen, dafür war der Bewuchs links und rechts des Weges zu dicht und der Boden abseits der Straße war für die massigen Transporter höchstwahrscheinlich zu weich.
„Sollen wir den Cyborg rauslassen? Der kann die Stämme doch locker wegziehen“, hörte er einen der Soldaten unweit von sich sagen und Sergej zuckte dabei zusammen.
„Nein, zu gefährlich. Der bleibt auf Standby bis zu seinem Reconnect. Wir sollten kein Risiko eingehen, bevor er nicht mit Basis 2 verbunden ist“, entgegnete ein anderer.
„Aber er wurde für die Reise sicherheitshalber auf Befehlsstufe 5 heruntergesetzt, er gehorcht jedem von uns. Wo ist das Problem? Warum sollen wir uns jetzt den Rücken krumm arbeiten, wenn…“, widersprach die erste Stimme abwehrend.
„Und was ist, wenn er das aus irgendeinem Grund nicht macht? Er ist für meinen Geschmack immer noch reichlich instabil. Was passiert, wenn er hier draußen plötzlich auf dumme Ideen kommt?“, unterbrach ein anderer in energischem Befehlston. „Also nichts da, holt die Kettensäge und die Äxte aus Transporter 1 und macht euch gefälligst an die Arbeit! Aber stoßt mir nicht an die Truhe, ihr wisst ja.“
„Jawohl Sir“, bestätigten die anderen den Befehl resignierend und machten sich auf zu dem Transporter, der direkt hinter dem stand, unter dem sich Sergej angeschnallt hatte. Nummer 1 also, dachte dieser bei sich und seine Gedanken begannen zu rasen. Er konnte hier nicht hängen bleiben, irgendwann würde ihm die Kraft ausgehen. Die Soldaten öffneten den Hintereingang des Transporters und versorgten sich mit Werkzeugen, begannen dann sich an die Zerstückelung der Baumstämme zu machen. Konnte er es wirklich wagen, sollte er das Risiko eingehen? Wenn sie ihn hier entdeckten war es vorbei. Dann würde er seinen Bruder nicht mehr aufhalten können. Sollte er es dennoch tun? Schweißperlen traten ihm auf die Stirn und mit zitternden Händen öffnete er langsam eine Gürtelschnalle nach der anderen, ließ sich so leise wie möglich mit großer Körperbeherrschung auf den Boden niedersinken. Die Soldaten schienen abgelenkt genug zu sein. Sergej traute sich fast nicht zu atmen, als er langsam auf allen Vieren nach hinten kroch.
„Bitte schaut jetzt nicht unter den verdammten Wagen! Bloß nicht in meine Richtung schauen!“, dachte er immer wieder. Sein Körper war steif vom stundenlangen Verharren in dieser angespannten Position, jedes seiner Gelenke und jede Bewegung schmerzte. Ängstlich folgte sein Blick den umhergehenden Beinpaaren vereinzelter Soldaten, die diese Pause nutzten und eine Zigarette rauchten oder austraten, während der Rest der Truppe arbeitete. Unbemerkt schaffte Sergej es, unter den hinteren Transporter zu kriechen und biss die Zähne zusammen, als sich ein spitzer Stein dabei direkt in seine linke Kniescheibe bohrte. Er hatte ihn übersehen, weil er sich so sehr auf seine Umgebung konzentriert hatte. Zitternd hob er das Knie an und entfernte den Quälgeist vorsichtig mit der rechten Hand. Der Stein war blutig. Auch das noch… er durfte keinesfalls verräterische Blutspuren hinterlassen, wenn er gleich versuchen würde von hinten in den nun aufgesperrten Laderaum zu schleichen!
„Wie geht es da vorne voran?“, erklang eine Stimme von hinten.
„Die brauchen noch etwas, ich vertrete mir bis dahin die Beine“, antwortete ein anderer und entfernte sich. Das war die Gelegenheit! Soweit Sergej sehen konnte, war nun niemand in der Nähe der Öffnung. Er zwang seinen durchgefrorenen Körper zu einer schnellen Bewegung, kroch unter dem Transporter hervor, erhob sich und stieg dann behände die ausfahrbare Rampe in den Innenraum hinauf. Sofort sah er sich nach einem geeigneten Versteck um und wurde fündig, während er eine Hand auf sein verletztes Knie presste und das sich ansammelnde Blut zwischendurch am Hosenbein abwischte. Ohne zu zögern schlich er auf die linke hintere Ecke zu. Der Transporter war voll mit Werkzeugen verschiedenster Art, die sich allerdings auf den ersten Blick nicht im allerbesten Zustand befanden. Es roch nach Waffenöl, Schmiere und Diesel. Auch halboffene Kisten mit technischen Gerätschaften wie Funkgeräte, Geigerzähler und sogar ein demontiertes Radar konnte er entdecken. Außerdem konnte er zu seiner großen Verwunderung auch einige Behälter mit Taucherausrüstung erspähen. Wofür die wohl benötigt wurden? Er versteckte sich kurzerhand hinter einem Kistenstapel, hinter dem er gerade genug Platz fand, so dass man ihn nicht ohne weiteres würde entdecken können. Von draußen dröhnten der Lärm der arbeitenden Kettensägen und Äxte. Er hatte es wirklich geschafft, zumindest bis hierhin. Die Äxte und Sägen würden im Eingangsbereich wieder an ihre Plätze gelegt werden, niemand würde ihn finden. Hoffentlich.

Er wartete und langsam kehrte die Wärme in seinen Körper zurück. Wenn der Konvoi irgendwann wieder seine Reise fortsetzen würde, dann könnte er versuchen ein wenig zu schlafen. Mit einem Mal fiel seine Aufmerksamkeit auf eine seltsam aussehende breite Truhe, die er durch einen Spalt zwischen den Kisten entdeckte, hinter denen er sich versteckt hielt. Die Truhe sah äußerst hochwertig aus, die Oberfläche war verchromt und mit einem dicken Vorhängeschloss gesichert. Sergej überlegte. Vielleicht sollte er einen Blick riskieren, wenn die Luft rein war? Er kannte Schlösser wie diese und sicherheitshalber hatte er sich für solche Fälle zwei Haarnadeln von Aksinja eingesteckt, bevor er zu dieser Reise aufgebrochen war.
„Na endlich, das war vielleicht eine Arbeit. Können wir wenigstens noch was essen, bevor wir weiterfahren?“, wurde er von einer näherkommenden Stimme aus seinen Gedanken gerissen.
„Essen könnt ihr während der Fahrt. Wir liegen jetzt ohnehin hinter dem Zeitplan“, ertönte die Stimme des Kommandanten, die Sergej von vorhin wiedererkannte. Widerspruchslos stapften drei Soldaten auf die Ladefläche und fingen an, die gebrauchten Werkzeuge wieder an ihre Plätze zu legen und die Kettensägen mit Gummiseilen an den dafür vorgesehenen Halterungen festzuzurren. Sergej atmete so flach wie irgend möglich. Sein Plan ging auf, niemand entdeckte ihn. Als man endlich die Türe des Transporters wieder verschloss, war es bis auf das wenige Licht, das durch den Spalt ins Innere des Laderaums drang, vollkommen dunkel. Die Motoren starteten und der Konvoi nahm erneut an Fahrt auf. Sergej erhob sich und kletterte hinüber zu der ominösen Truhe. Durch die Fahrbewegung schwankte der Boden und zusammen mit den schlechten Lichtverhältnissen war dies kein ungefährliches Unterfangen. In dem Moment dachte er nicht mehr an sein blutendes Knie, spürte die Nässe nicht, die sich langsam an seinem Hosenbein ausbreitete. Er erreichte die Truhe unbeschadet und besah sie sich genauer, tastete sie ab. Überraschenderweise schien der Deckel durch das Vorhängeschloss etwas an Spielraum zu haben. Als er die Truhe anhob, um ihr Gewicht einzuschätzen, erschrak er jedoch. Ein Schimmer blauen Lichtes ging von ihrem Innenraum aus und sie war äußerst schwer. Sie enthielt also etwas, das aus eigener Kraft Licht erzeugen konnte? Blaues Licht? Wie konnte das sein? Und vor allem: was konnte das sein? Seine Neugierde wurde dadurch nur noch weiter angestachelt. Eifrig zog er eine von Aksinjas Haarnadeln aus seiner Jacke hervor und begann, sich am Schloss zu schaffen zu machen. Die Dunkelheit und die Erschütterungen erschwerten auch diese Aktion erheblich, allerdings hatte er trotzdem schon nach etwa fünf Minuten Erfolg und das Schloss sprang auf. Er zog es ab und legte es direkt vor die Truhe auf den Boden. Seine Nackenhaare stellten sich vor Anspannung und Aufregung auf und seine Hände kribbelten, als hätte er in einen Ameisenhaufen gefasst. Er griff nach dem Deckel und öffnete ihn vorsichtig. Das blaue Licht erschien wieder, erstrahlte in der Finsternis geradezu majestätisch, pulsierte. Zuerst nahm Sergej es nicht wahr, war überwältigt von der Schönheit dieser ihn umfassenden Farbe. Doch schon nach ein paar Momenten wurde ihm bewusst, dass dieses Licht im Takt seines eigenen Herzschlags pulsierte.
„Was ist das…? Wie kann das sein…?“, stammelte er beeindruckt und beugte sich nun direkt über die Truhe, um deren Inhalt genau in Augenschein nehmen zu können. Es war ein tiefblaues Kristallstück, gut anderthalb Meter lang und vom Durchmesser eines Oberschenkels. Von seiner Größe her passte es gerade so quer in die Truhe und war ohne jede weitere Befestigung oder Absicherung dort hineingelegt worden. Von ihm ging alles Leuchten aus. Etwa in seiner Mitte jedoch war ein kleiner Riss zu sehen, aus dem wohl schon seit Stunden eine ebenso leuchtende, glitzernde Flüssigkeit tropfte. Am Boden der Truhe hatte sich schon eine kleine Lache gebildet. Eventuell war diese Beschädigung durch den Druck in der Truhe selbst zustande gekommen? Aber der Kristall sah an sich sehr stabil aus?
„Ein Kristall mit flüssigem Kern…“, murmelte er und konnte seinen Blick nicht mehr abwenden. Je länger er ihn betrachtete, das pulsierende Licht, das Glitzern, dieses fantastische fremdartige Gebilde, desto mehr verspürte er das tiefe Verlangen seine Hand nach ihm auszustrecken und ihn zu berühren. Für einen kurzen Moment erschauderte Sergej. Es war fast so, als riefe ihn der Kristall, würde zu ihm über die Vermittlung aus purer Emotion und Energie sprechen. Das konnte doch nicht sein, er musste sich irren? Noch während er so dachte, streckte er seine rechte Hand nach ihm aus. Langsam aber stetig ging sie dem Kristall entgegen, wurde von ihm schier angezogen. Längst hatte er alles um sich herum vergessen und selbst wenn er gewollt hätte, er war nicht mehr in der Lage zu verhindern, was nun geschah. Zuerst berührte er mit den Fingerspitzen die Bruchstelle, aus der die glitzernde Flüssigkeit tropfte. Sie fühlte sich kühl an, fast so als würde er in Eiswasser greifen. Schon nach Sekunden übermannte ihn ein enormer Endorphinausstoß, ein Glücksgefühl, das er seit dem Zusammensein mit Aksinja nicht mehr gespürt hatte. Seine Augen wurden weit, er wollte mehr davon, sofort! Seine Sinne spielten verrückt. Es war als würde er vor Glück schier explodieren, als ihm die Flüssigkeit über die Hand lief. Er öffnete den Mund und schnappte nach Luft, als sein Körper zu zittern begann. Vor seinen Augen blitzen plötzlich Lichter in allen Farben auf. Er streckte seine Hand zum Truhenboden aus und tauchte sie nun direkt in die Pfütze. Sein Herzschlag wurde immer schneller und schneller, das Pulsieren des Lichts passte sich weiterhin seinem Herzschlag an. Er atmete immer angestrengter und schwerer.
„Sind das etwa… Drogen?“, lallte er und seine Zunge fühlte sich dabei pelzig an. Es kostete ihn eine unfassliche Anstrengung, sich zu erheben um wieder besser atmen zu können. Mit der linken Hand stützte er sich an der Wand ab und betrachtete seine Rechte. Sie leuchtete nun ebenfalls blau und glitzerte von der Flüssigkeit, die auf seiner Haut langsam zu einer gallertartigen Masse wurde. Ungläubig starrte er auf die Metamorphose der Flüssigkeit, die seine Hand nun vollständig bedeckte und dann begann, durch die Poren in seine Haut einzuziehen. Er schüttelte nur fassungslos den Kopf und starrte auf das was da geschah, während es ihm heiß und kalt den Rücken hinunterlief. War das ein Traum oder passierte das alles gerade wirklich? Er war sich nicht mehr sicher, ob er sich noch in der Realität befand. Die Flüssigkeit war nun vollständig in seine Haut eingezogen, seine Hand leuchtete immer noch schwach. Dann folgte dieser Fremdkörper langsam den Blutbahnen in seinem Unterarm und hinauf in den Oberarm. Er konnte es fühlen, konnte die Kühle in seinem Arm deutlich spüren, die sich weiter und weiter ausbreitete. Es war kein unangenehmes Gefühl, aber mehr als beängstigend. Wäre er nicht in diesem paralysierten Zustand gewesen, er hätte wahrscheinlich vor Panik um Hilfe geschrien. Stattdessen ließ er es geschehen, spürte die Flüssigkeit durch seine Schulter und dann langsam in seinen Brustkorb hineingleiten. Sie näherte sich seinem Herz. Er zwang sich dazu langsam zu atmen, versuchte sich selbst zu beruhigen. Das konnte nur ein Traum sein, es gab einfach keine andere Erklärung.
„Aksinja, Irina, macht euch keine Sorgen um mich. Ich werde wieder nachhause kommen wenn alles vorbei ist. Ich habe es versprochen und ich tue das hier und jetzt noch einmal. Ich komme wieder nachhause…“, flüsterte er und brach dann zusammen, stürzte auf den Boden hernieder und kam direkt neben der Truhe zu liegen. Die Erschütterung ließ den Deckel zufallen. Das Vorhängeschloss rutschte jedoch zwischen zwei der nahestehenden Kisten.

Sergej erwachte, kam nur sehr schleppend wieder zu sich. Er wurde unsanft an den Oberarmen gepackt und über den Boden geschleift. Es waren zwei Männer, die ihn hier zogen. Wo war er? All dieses grelle Licht, die Geräusche. Die klare Luft brachte ihn zurück ins Hier und Jetzt. Er öffnete die Augen, zuerst sah er nur verschwommen, dann klarer.
„Wie ist dein Name? Wie lautet dein Auftrag?!“, schrie ihn jemand an. Er hob den Kopf. An beiden Armen wurde er von Soldaten gehalten, noch war er zu schwach um aus eigener Kraft stehen zu können. Einige weitere Soldaten standen um ihn herum und hatten ihre Waffen im Anschlag. Direkt vor ihm befand sich ein Offizier. Alle trugen die schwarzen Uniformen der Spezialeinheit.
„W-was?“, erwiderte Sergej auf die Frage. Seine Gedanken begannen wieder zu rasen. Was konnte er jetzt tun? Sie hatten ihn entdeckt. Wo befanden sie sich jetzt? Er blickte kurz an dem Offizier vorbei. Sie hatten wieder irgendwo in unbewohntem Gebiet gehalten. Er hatte nicht den Hauch einer Ahnung, wie lange er bewusstlos gewesen war. Auf seine Armbanduhr konnte er jetzt nicht sehen. Vielleicht waren nur ein paar Stunden vergangen, vielleicht sogar Tage? Diese Gegend hier kam ihm nicht bekannt vor. Flaches Land, in der Ferne waren einige Hügel auszumachen, ein Wald, nicht all zu weit entfernt.
„Ich wiederhole meine Frage noch genau ein einziges Mal: wie ist dein Name und was ist dein Auftrag“, zischte der Offizier kalt. Was sollte er ihm antworten? Er konnte ihm nicht die Wahrheit sagen. Er hatte kaum eine andere Wahl, als sich dumm zu stellen.
„Ich heiße Danilo Lasarew, aus Neo Jakutsk… wollte eigentlich nur etwas klauen als ich die Transporter auf dem Parkplatz gesehen habe… Dummerweise habe ich mich aber im Innenraum versteckt, als der dann verschlossen wurde. Seitdem sitze ich da drin und habe gehofft, dass mich niemand findet…“, bluffte Sergej und versuchte dabei, mehr schlecht als recht den Zungenschlag zu imitieren, den er in der Stadt so oft gehört hatte. Es war das Beste, was ihm auf die Schnelle in den Sinn gekommen war. Der Offizier zog die Augenbrauen hoch. Seine Miene verfinsterte sich noch weiter.
„So, aus Neo Jakutsk also? Und warum trägst du dann eine Kleidung wie die Leute aus der Peripherie?“, kam die Nachfrage. Alles krampfte sich in Sergej zusammen. Natürlich, es war offensichtlich gewesen, dass er kein Stadtbewohner sein konnte. Seine Lüge war leicht zu durchschauen gewesen. Der Offizier kam näher und schlug ihm mit einem wuchtigen Hieb in den Bauch. Sergej japste nach Luft und krümmte sich vor Schmerz zusammen, wurde jedoch von den Soldaten die ihn hielten sofort wieder aufgerichtet.
„Ich…“, setzte er an, wurde aber unterbrochen.
„Du hast die Truhe geöffnet. Wir haben das Schloss bereits gefunden. Und du hast den Kristall berührt. Dein Handabdruck war deutlich auf dem Truhenboden zu sehen“, führte der Offizier aus. Sergej nickte. Dann war es also wahr, es war kein Traum gewesen. Der Kristall, aus dem die seltsame Flüssigkeit getropft war… Leugnen war nun ohnehin zwecklos. Aber warum hatte der Kristall die Soldaten mit seinem Licht nicht auch in seinen Bann gezogen? Was war anders bei ihnen?
„Ja“, krächzte er. „Was ist das für ein Ding?“ Ein paar der Soldaten grinsten daraufhin.
„Du wagst es, in deiner Lage auch noch eine Frage zu stellen?!“, schrie ihn der Offizier an. Sergej zuckte zusammen und antwortete nicht. „Also… Entweder bist du ein Agent und Saboteur, oder ein Dieb. Ein Lügner in jedem Fall. Wir befinden uns in einer Kolonne mit einem eindeutigen Ziel und haben keine Zeit und Kapazität, einen Saboteur oder Dieb mitzuschleppen und zu bewachen.“
„Aber…“, keuchte Sergej. Der Offizier zog seine Pistole aus dem Holster und prüfte kurz das Magazin. Sergej wurde kalkweiß im Gesicht, versuchte sich mit aller Kraft loszureißen. Er hatte jedoch keine Chance gegen den Klammergriff der Soldaten, die ihn erbarmungslos festhielten und er war durch die vorangegangene Bewusstlosigkeit immer noch sehr geschwächt.
„Im Namen der Partei ergeht folgendes Urteil: Tod aufgrund des Verdachts auf Spionage während einer Militäroperation und versuchter Diebstahl von Militäreigentum“, zählte der Offizier vor den Soldaten auf. Dann entsicherte er seine Pistole und zielte auf Sergej. Dieser schüttelte nur noch ungläubig den Kopf.
„Aksinja…“, flüsterte er.

Das laute Donnern des Schusses hallte über die Ebene. Die Kugel durchschlug Sergejs Brust. Er sah an sich herunter, sah das Loch, aus dem sein Blut floss. Er spürte seine Beine nicht mehr. Die Soldaten ließen ihn los, er fiel mit dem Gesicht nach unten auf die steinige Erde. Keine Bewegung war ihm mehr möglich, kein Atemzug. Nur Kälte fühlte er, als die Schwärze des Todes ihn einhüllte und der letzte Funke Lebens aus ihm wich.


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