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Elysium Roman 6 – Kapitel 9: Unter der Oberfläche


Wie hatte das nur geschehen können? Wie hatten sie übersehen und überhören können, dass sich jemand an sie angeschlichen hatte? Ein Moment der Unachtsamkeit hatte ausgereicht. Harry beugte sich so schnell er konnte nach hinten und geriet ins Taumeln. Der heranfliegende Bolzen verfehlte ihn nur um Haaresbreite, zischte an seiner Brust vorbei und dann auf die Oberfläche des Spiegels zu. Als er auf dessen schimmerndes Glas auftraf, zersplitterte der Spiegel jedoch nicht wie es zu erwarten gewesen wäre. Die Fläche bog sich durch die Wucht des Einschlags wie eine elastische Membrane nach hinten und spannte sich dann wieder. Der Bolzen trat auch nicht auf der anderen Seite wieder heraus, sondern er war verschwunden, verschluckt vom Spiegel. All dies geschah innerhalb eines einzigen Augenblicks. Harry fand sein Gleichgewicht wieder und zog sein Schwert aus dem Gürtel. Er sah, wie Yuri bereits losrannte und währenddessen seine Axt vom Rücken riss um kampfbereit zu sein. Der Hüne stürmte auf eine Gruppe von Männern zu. Es handelte sich um fünf finstere Gestalten in abenteuerlich anmutenden Rüstungen. Deren Einzelteile schienen nicht zusammenzupassen und waren wohl erst nach und nach auf Raubzügen erbeutet worden. Einer der Männer war gerade dabei, einen neuen Bolzen auf seine Armbrust zu legen. Er war derjenige, der gerade eben versucht hatte Harry zu töten. Neben ihm stand ein Krieger mit einem Helm auf dem Kopf, der nur seine Augen frei ließ. Dieser hatte sein Schwert ebenfalls gezogen und deutete den drei anderen, sie sollten sich auf Yuri stürzen. Diese drei anderen wirkten eher wie eine Mischung aus Affen und Menschen, waren am ganzen Körper und sogar im Gesicht behaart und hatten eine bucklige Haltung. In den Händen trugen sie knotige Hartholzknüppel, auf denen verkrustetes Blut klebte. Als sie das Zeichen ihres Kommandanten sahen, begannen sie zu grunzen und stürmten sofort und ohne zu überlegen los.
„Lauf weg! Schnell!“, schrie Harry zu Abigail, die mit schreckgeweiteten Augen auf die Angreifer starrte. Die TRAP-Agenten waren in der Unterzahl und er würde sie wahrscheinlich nicht beschützen können. Sie musste sich unbedingt selbst in Sicherheit bringen, bevor der Armbrustschütze wieder schussbereit war. Dann rannte er Yuri hinterher. Den hatte der erste dieser grotesken Affenmenschen bereits erreicht und stürzte sich frontal und mit erhobenen Knüppel auf ihn. Yuri drehte seine lange Axt geistesgegenwärtig und rammte dem Angreifer deren Stil direkt in den Bauch. Als dieser sich vor Schmerzen nach unten krümmte und ihm dabei der Knüppel aus den Händen fiel, zog Yuri den Stiel zurück, holte aus und schlug ihm die Axt mit aller Wucht in den Rücken. Der Affenmensch schrie verzweifelt aus voller Kehle, während er auf diese Weise geschlachtet wurde. Schon kamen jedoch die anderen beiden auf Yuri zugeflogen. Er versuchte, die Axt schnell wieder aus seinem ersten Gegner zu reißen, vergeblich jedoch, denn der untere Klingenhaken des Axtblatts hatte sich in der Wirbelsäule des Affen verkeilt.
„Oh scheiße“, presste er hervor, als er die Axt anhob, an dessen Ende der haarige, noch zappelnde Körper hing. In dem Moment wurde er von den anderen aus vollem Lauf zu Boden gerissen. Sofort versuchte Yuri sich wieder aufzurappeln, sah aber dann einen der Affen über sich, der seinen Knüppel auf ihn herabsausen ließ. Dann blitzte etwas Metallisches und durchfuhr den Gegner. Blut spritzte auf Yuri hinab und einen Moment später fiel der Kopf des Affen von seinem Hals und blieb auf Yuris Brust liegen. Es war Harry gewesen, der die Kreatur mit seinem Schwert enthauptet hatte.
„Widerlich“, grunzte Yuri, packte den blutigen Kopf bei den Haaren und sprang wieder auf die Beine. Dann warf er das zottelige Haupt dem verbliebenen Affenmenschen entgegen, der nun seinerseits völlig unbeeindruckt und todesmutig auf ihn zustürmte und traf ihn damit mitten im Gesicht. Der Schlächter rannte dennoch wie besessen weiter. Währenddessen hatte der Kommandant Harry erreicht und kreuzte mit ihm die Klinge. Es war sofort klar, dass er ein Gegner anderen Kalibers war als seine primitiven Handlanger. Außerdem hatte er durch seine Rüstung einen klaren Vorteil, während Harry immer noch nur mit einer Hose und Stiefel bekleidet war. Es folgte eine schnelle Reihe von Attacken und Paraden zwischen den beiden. Dem Straßensamurai war schon nach den ersten Sekunden klar, dass er diesen Kampf nicht zu einem vorzeitigen Ende würde bringen können. Der Kommandant bot ihm vorerst keine freie Stelle, in die er hätte hineinstoßen können. Nun musste er einfach versuchen, Abigail und Yuri zumindest genug Zeit zu verschaffen, damit sie handeln und die Lage zu ihren Gunsten verändern konnten.
„Nein“, keuchte Abigail, die anstatt wegzurennen wie es Harry gewollt hatte, nur hinter dem nächsten breiteren Baum in Deckung gesprungen war. Mit blankem Entsetzen sah sie, wie der Armbrustschütze seine mittlerweile wieder geladene Waffe erneut erhob und von hinten auf Yuri zielte. Der war gerade dabei, mit bloßen Händen gegen den letzten Affen zu kämpfen, wich den Schlägen des Knüppels aus. Sie musste irgendetwas machen! Wenn sie jetzt nicht handelte, war Yuri verloren. Nur was, was konnte sie schon ausrichten?
„Bitte, bitte, bitte!“, krächzte sie und schloss die Augen. Es musste einfach funktionieren, es war ihre einzige Chance. Sie dachte an das Interface, versuchte es sich vor ihrem geistigen Auge vorzustellen und erschrak, als sie es plötzlich in allen Details vor sich sah. Was war jetzt anders? Warum klappte das sofort, ohne dass sie diese Sache jemals geübt hätte? Egal, keinen Gedanken an Zweifel oder Erklärungen verschwenden, jede Sekunde zählte! Sie sah einen Bildschirm vor sich, auf dem Programmzeilen von unten nach oben durchliefen. Das ging zu schnell, sie konnte nicht lesen was da stand, den Text nicht erfassen! Noch während sie so dachte und sie sich wünschte, der Code würde sich verlangsamen, tat er es auch schon und die Zeit schien insgesamt weniger schnell abzulaufen. Es war so, als hätte sie die Kontrolle durch ihre bloßen Wünsche übernommen. Nun konnte sie den Code verstehen. Es war die vollständige Darstellung in Programmiersprache all dessen, was gerade um sie herum geschah und zwar mit drei eingebenden Einheiten – Harry, Yuri und ihr selbst – und einer vierten Entität, der Welt, die auf diese Eingaben wie ein hochentwickeltes neuronales Netzwerk reagierte. Sie hielt den Code nun vollständig an und veränderte das Material der Armbrust des Schützen von Holz auf flüssigen Stahl. In dem Moment als sie ihre Eingabe bestätigte und die Zeit wieder normal laufen ließ, hörte sie bereits seine entsetzten Schreie. Sie öffnete die Augen. Mit fassungslosem Grauen und schmerzverzerrtem Gesicht betrachtete der Schütze wie ihm seine Armbrust, die zu glühend heißem Metall geworden war, über seine Hände und Arme geflossen war und sie zu qualmenden Fleischklumpen geformt hatte. Ohnmächtig vor Schmerz brach er zusammen.
„Oh, ähm, hupps…“, stieß Abigail hervor, als sie sah was sie gerade eben vollbracht hatte. Sie hatte nicht über die Folgen ihres Handelns nachgedacht, hatte einfach nur das Erste eingegeben, was ihr in den Sinn gekommen war um Yuri zu retten. Und es hatte immerhin funktioniert, wenngleich diese Lösung doch eine äußerst drastische Auswirkung gehabt hatte. Aber was einmal funktioniert, würde vielleicht auch ein zweites Mal klappen! Wieder schloss sie die Augen, durchsuchte auf die gleiche Weise den Code nach dem Knüppel des verbliebenen Affenmenschen und schrieb ihm einen bewegungsempfindlichen, explosiven Kern ein. Ein wenig Kreativität und Variation musste schließlich sein, dachte sie sich. Dann ließ sie die Programmzeilen erneut weiterlaufen. Yuris Gegner war gerade dabei, weit zu einem neuen Schlag auszuholen, als ihm plötzlich die Waffe in der Hand explodierte und ihn den ganzen Unterarm bis zum Ellenbogen abriss. Ehe er realisierte was gerade eben geschehen war, traf ihn auch schon Yuris mächtiger linker Haken im Gesicht, schickte ihn zu Boden und somit in eine gnädige Bewusstlosigkeit.
„Wow, was ist hier los?!“, rief der Hüne, der selbst natürlich völlig überrascht war. Dann erblickte er Abigail im Hintergrund, die mit konzentriertem Gesichtsausdruck dastand und den Kampf zu beobachten schien, gleichzeitig aber auch geistig abwesend wirkte. Das Amulett um ihren Hals erstrahlte dabei so hell wie noch nie zuvor. War das eben ihr Werk gewesen? Hatte sie es tatsächlich geschafft, in die Grundfesten dieser Welt vorzudringen um sie verändern zu können, so wie es Harry schon vermutet hatte? Erst jetzt bemerkte er den Armbrustschützen, der immer noch auf dem Boden lag und qualmte. Ja, es gab keine andere Erklärung, das musste Abigail gewesen sein.
„Dämonen, das ist das Werk von Dämonen!“, schrie der Kommandant und wich zurück, als er begriff was um ihn herum geschah. Seine Gruppe war kampfunfähig oder tot, er war der Letzte der übrig war. Yuri lief indes zu der Leiche des Gegners in der seine Axt steckte, stellte einen Fuß auf den leblosen Körper, umfasste den Stiel der Waffe und riss sie schwungvoll mit einem fürchterlichen Knacken heraus.
„Dämon ist unterwegs!“, grölte er dem Kommandanten zu, schwang die blutige Axt und lief wie eine Dampfwalze in Harrys Richtung um ihm beizustehen. Als dessen Gegner sah was da auf ihn zustürmte, drehte er sich um und flüchtete in Panik. Harry wollte schon nachsetzen, sprang aber dann vorsichtshalber nur zur Seite um Yuri Platz zu machen, der gewaltig an Fahrt aufgenommen hatte.
„Ihr Götter steht mir bei!“, brüllte der Kommandant verzweifelt und im nächsten Moment traf ihn der Axtstiel im Rücken, den Yuri mit beiden Händen einmal am Ende und einmal knapp unter dem Axtblatt waagerecht vor sich hielt. Der Fliehende wurde von den Beinen gerissen, flog drei Schritte nach vorne und landete mit dem Gesicht nach unten direkt auf der dicken Wurzel eines alten Baums. Er schaffte es gerade noch sich umzudrehen. Das Letzte was er sah war Yuri, der die Axt direkt in seine Brust sausen ließ. Der Schlag war mit so viel Wucht ausgeführt worden, dass er das Kettenhemd und den Brustkorb durchschlug und sogar noch durch den Rücken und darunter in den Waldboden drang.
„Nicht schlecht“, hörte er Harrys Stimme hinter sich und drehte sich um. Die anderen beiden hatten zu ihm aufgeschlossen und er sah in ihre erschöpften Gesichter.
„Ja, nicht wahr?“, nickte der Hüne, grinste und deutete auf den noch zuckenden Körper. „Ich nenne es >Räuber am Stiel<.“ „Jetzt will ich aber auch sehen, wer sich unter dem Helm verbirgt“, meinte Harry und beugte sich dann hinunter zu dem Besiegten. „Er hat verdammt gut gekämpft, so eine Kampftechnik habe ich bisher noch nicht gesehen.“ Dann ergriff er den Helm und zog ihn vom Kopf des Kommandanten. Als sie dessen Gesicht erblickten, wurden sie stutzig. „Den kenn’ ich doch irgendwoher“, überlegte Yuri und rieb sich die Hände. „Ja, ich auch“, bestätigte Harry. „Ich weiß nur gerade nicht, wo ich ihn einordnen soll.“ „Ich weiß es!“, stieß Abigail hervor und beugte sich nun ebenfalls hinunter zu dem Toten. Die Aufregung besiegte für einen kurzen Moment ihren Ekel gegenüber der Leiche. „Könnt ihr euch nicht erinnern? Das ist einer von den Wissenschaftlern aus dem Labor, aus dem wir Yanny befreit haben. Einer von den Drecksäcken, die ihr mit dem Laser die Hand abgeschnitten haben.“ „Du hast recht!“, nickte Yuri und auch Harry fiel es nun wieder ein. „Aber was macht der Mann denn hier? Diese Typen konnten nicht kämpfen, die haben wir damals einfach mit ein paar abgeschnittenen Kabel zu handlichen Paketen verschnürt“, erinnerte er sich. „Schätze das hat einen tiefenpsychologischen Grund“, überlegte Abigail. „Yanny hat diese Prozedur damals zwar nicht bewusst miterlebt, diesen Mann jedoch mit Sicherheit im Labor gesehen. Wenn man sich vor Augen führt, dass er einer derjenigen war, die federführend für die Experimente an ihr verantwortlich waren ist es fast sogar logisch, dass wir ihn hier in ihrer Gedankenwelt in einer solchen Rolle wiedertreffen“, führte die Programmiererin weiter aus. „Das hast du übrigens sehr gut gemacht vorhin, die Sache mit der Magie“, warf Yuri ein und deutete einen Daumen nach oben gen Abigail. Daraufhin strahlte sie stolz. „Ja, es hat einfach funktioniert, war komischerweise überhaupt nicht so kompliziert wie ich es mir vorgestellt hatte“, erklärte sie. „Sich die Bedienelemente und das Interface vorzustellen hat eigentlich schon gereicht. Ist euch irgendetwas aufgefallen, dass die Zeit zwischendurch langsamer vergangen wäre?“ „Überhaupt nicht“, antworteten die anderen beiden im Chor. „Okay sonderbar, das kann ich mir nicht erklären. Muss unbedingt mit Yanny darüber sprechen wenn wir wieder zurück sind. Vielleicht hat sie eine Idee dazu…“, grübelte die Programmiererin. „Aber wir haben immer noch nicht deaktiviert Barriere“, warf Yuri ein und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Irgendeine Idee was wir jetzt machen sollen?“ Harry nickte daraufhin langsam. „Ja, ich glaube schon. Habt ihr eigentlich vorher mitbekommen, was mit dem Bolzen am Spiegel passiert ist?“, fragte er in die Runde. „Ich habe gesehen, wie das Projektil in den Spiegel zwar hineingefahren, aber auf der anderen Seite nicht wieder herausgekommen ist. Es ist einfach im Spiegel verschwunden. Dieses Ding ist nach wie vor der einzige Anhaltspunkt bei der ganzen Mission, den wir haben. Außerdem schien diese Räubertruppe auch genau den Spiegel gesucht zu haben. Sie wollten ihn unbedingt haben, für was auch immer.“ „Ja, das >Böse< wollte den Spiegel haben“, bestätigte Abigail und blickte hinüber zu der sonderbaren Konstruktion mit den Dornen, die ihn auf ihren drei Stäben hielt. „Wir brauchen noch einmal Magie“, lächelte Yuri. „Ich versuch’s“, flüsterte Abigail, schloss erneut die Augen und ging in Gedanken zurück zu den laufenden Codezeilen. Sie suchte den Spiegel in der dargestellten Umgebung und fand ihn. Es stimmte: er unterschied sich von allen anderen Gegenständen, von den Bäumen und Sträuchern, den Steinen, dem abgebrannten Haus und den herumliegenden Körpern. In einem von ihnen konnte sie sogar ablesen, dass in genau diesem Moment das Herz zu schlagen aufgehört hatte. Es war der Affenmensch, den Yuri zuvor bewusstlos zu Boden geschickt hatte. Der Spiegel jedoch schien auf unerklärliche Weise zusätzlich auf einer anderen Ebene zu existieren. Er befand sich zwar bei ihnen im dreidimensionalen Raum, sollte aber eigentlich nicht sichtbar sein. Sie versuchte das Interface anzuweisen, eine Dekodierung auf das Objekt zu starten und auch das gelang ihr, brachte jedoch trotz der enormen Rechenleistung die nun im Hintergrund lief, kein positives Ergebnis. Es musste eine andere Lösung geben, musste auf andere Weise funktionieren. Sie dachte nach, versuchte alle Informationen die sie jetzt hatte, objektiv zu betrachten. Dann kam ihr eine Idee. Harry hatte sicher recht, der Spiegel war des Rätsels Lösung. Ihre mittlerweile erlernte >Magie< würde jedoch auf diese Weise nicht helfen. Sie befanden sich immer noch auf der gleichen Ebene in Yannys Unterbewusstsein und ein Dekodierungsversuch hier war ebenso wirkungslos, wie es ein bloßer Versuch außerhalb des Cyberspaces gewesen wäre. Sie würde von hier aus keinen Erfolg haben, musste eine Stufe tiefer gehen.
„Yuri, tust du mir bitte einen Gefallen?“, fragte sie dann ihren Kameraden, als sie die Augen wieder geöffnet hatte.
„Natürlich!“, merkte der Hüne überrascht auf.
„Würdest du mich hochheben und kopfüber in den Spiegel stecken? Das wäre echt lieb von dir“, lächelte sie und zwinkerte ihm zuckersüß zu.
„Harry, wir schon sind zu lange hier, Hemd hat Verstand verloren“, brummte Yuri und ließ seine Brustmuskeln zucken. Der Angesprochene grinste nur und glaubte zu verstehen, was sie vorhatte.
„Naja, wir können es versuchen. Und du bist sicher, dass es dir dabei nicht den Kopf wegbrennt? Wir wissen ja nicht, was vorhin mit dem Armbrustbolzen geschehen ist. Ist das nicht zu gefährlich?“, fragte Harry Abigail.
„Ich vermute nur und hoffe“, nickte sie und zog das große Hemd aus, das bei der Aktion im Weg gewesen wäre, ließ es auf den Boden fallen.
„Gut, bin überzeugt schon“, sagte Yuri, ging zu ihr und hob sie mit seinen kräftigen Händen mühelos an den Hüften hoch und trug sie in Richtung des Spiegels.
„Hey! Ich hätte schon noch laufen können!“, lachte sie und wedelte mit den Armen.
„Nicht zappeln, du dich schonen musst“, brummte er nur. Als sie den Spiegel erreicht hatten, hielt er sie mit höchster Vorsicht und steckte sie langsam und behutsam kopfüber in den Spiegel. Zuerst bog sich die Membrane aus Glas nach hinten durch, dann aber verschwand ihr Kopf in der Oberfläche. Der Eintritt in den Spiegel kribbelte und kleine elektrische Entladungen zuckten über ihr Gesicht. Sie öffnete die Augen. Ihr Kopf ragte aus einem schwarzen Loch heraus, hinein in ein leeres Nichts aus weißem Licht, das durchzogen war von einem roten Band aus Ziffern, Buchstaben und Sonderzeichen. Sie war am Ziel angekommen. Es war die Barriere, die sie nun fasziniert betrachtete.
„Ich muss es verstehen, nur verstehen…“, murmelte sie und das Amulett um ihren Hals begann wieder zu leuchten. Die Verbindung mit dem Interface zur tieferen Schicht des Unterbewusstseins war nun hergestellt. Noch während Abigail überlegte, kam ihr die Rechenleistung von außen zu Hilfe und unterstützte sie mit einer gewaltigen Energie. Sie begann zu begreifen und die Zeichen und Buchstaben des roten Bands begannen sich in logischer Folge anzuordnen, so lange bis die Verschlüsselung klar verständlich lesbar war. Am Schluss fehlte nur eine einzige Ziffer, die von Abigail selbst hinzugefügt werden musste. In dem Moment, in dem sie eine Sieben an die richtige Stelle schrieb, löste sich das rote Band in seine Bestandteile auf und verschwand. Die Barriere existierte nicht mehr.

Die Reihe wird fortgesetzt mit dem Titel:
Wolfszeit


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