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Elysium Roman 7 – Kapitel 10: Stille


Es war still geworden in der Villa am Nordstrand während der letzten fünf Monate. Nur langsam kehrte das Leben zurück in das Hauptquartier der TRAP-Agentur, als Ralph, Yuri und viel später dann auch Harry wieder aus dem Zentralkrankenhaus entlassen wurden. Abigail und ihre Kameraden hatten es geschafft aus der Unterwasserbasis zu fliehen und zu ihrem U-Boot zurückzutauchen, nachdem aufgrund der getöteten Soldaten wilde Panik ausgebrochen war. Die Programmiererin hatte Yuri nur mit Mühe davon abbringen können, dort lebenserhaltende Anlagen wie den Sauerstoffilter zu zerstören und damit auch die restliche Besatzung der Basis ins Verderben zu reißen und ihn davon überzeugt, seine letzte Kraft lieber dafür einzusetzen sich in Sicherheit zu bringen. Die Basis stellte keine Gefahr mehr für Elysium dar, denn durch das Eindringen der Agenten wusste die PZN ohnehin, dass dieses Versteck und ihr Plan aufgeflogen war.

Für die Flucht war es eine glückliche Fügung, dass sich die Basis in der Tiefe befand und keine Haie auf dieser Ebene jagten, denn aufgrund ihrer Verletzungen konnten die TRAP-Agenten nicht verhindern, dass ihr Blut ins Meerwasser geriet. Harry hatte es am schwersten getroffen, der aufgrund zweier angebrochener Brustwirbel und erneut zerschmetterter Rippen wochenlang in einem Gipsbett liegen und sich anschließend Rehabilitationsmaßnahmen unterziehen musste. Abigail, die als einzige unverletzt geblieben war, hatte ihre Kameraden jeden Tag besucht und immer wieder versucht tröstende Worte zu finden, wenngleich sie selbst genau wie die anderen trauerte. Sie hatten es alle zusammen geschafft Lazarus aufzuhalten und der verdeckte Vormarsch der PZN war vorerst gestoppt. Der Preis jedoch war hoch gewesen, sehr hoch.

Als Ralph es mit großer Anstrengung geschafft hatte Yannys Überreste in den Kofferraum des Wagens zu hieven, war er einfach losgefahren. Er hatte gewusst, dass er schnellstmöglich medizinische Hilfe für sich selbst suchen musste und trotzdem war er stattdessen im ersten Schock zur Villa zurückgekehrt. Er hatte den inzwischen nicht mehr vor Hitze dampfenden Körper von der Garage aus in den Keller getragen, hin zur großen Tiefkühltruhe in denen sie ihre Essensvorräte gelagert hatten. Nachdem er die Truhe hastig leergeräumt hatte, hatte er Yannys Körper dort hineingelegt und den schweren Glasdeckel wieder geschlossen. Es war das Einzige gewesen was ihm in dem Moment eingefallen war und es war das Naheliegendste gewesen. Über dem mechanischen Skelett befand sich immer noch einiges an menschlichem Gewebe und er hatte eine genaue Vorstellung davon was passieren würde, wenn er die Überreste nicht tiefkühlen würde. Erst danach hatte er sich zum Krankenhaus aufgemacht und war schließlich dort in der Notaufnahme zusammengebrochen, während eine Nachtschwester seine Personalien in einem Formular erfasst hatte.

Die Dinge hatten sich verändert. Die behandelnden Ärzte hatten Harry bei seiner Entlassung aus der Rehabilitationsklinik dringend davor gewarnt, jemals wieder in eine körperliche Auseinandersetzung zu geraten. Er konnte mehr als froh sein, dass nach all den Verletzungen keine größeren Einschränkungen zurückbleiben würden. Seine Zeit als Agent war jedoch endgültig vorbei. All dies hatte er teilnahmslos zur Kenntnis genommen. Keine Gefühlsregung hatte man aus seinem Gesicht ablesen können, seine Augen schienen ins Leere zu blicken. Ralph hatte ihn irgendwann in einer Nacht im Keller entdeckt. Er war dort auf einem Hocker gesessen und hatte zusammengesunken auf die Tiefkühltruhe gestarrt, deren gläserner Deckel von innen durch die letzte Wärme von Yannys Körper nach ihrer Zerstörung mit dichten Eisblumen überzogen war. Seit seiner Rückkehr aus dem Krankenhaus war er jede Nacht hier gesessen, ohne ein Wort zu sagen. Ralph hatte ihn nach oben ins Wohnzimmer geschafft und ihn dazu gezwungen, dass sie zusammen Whiskey trinken. Sie hatten geredet, lange, bis zum Sonnenaufgang. Hatten sich unterhalten über alles was passiert war, sich zugehört. Es würde Zeit brauchen, noch viel mehr Zeit. Sie kamen zu dem Schluss, dass es irgendwann nötig werden würde Yanny zu bestatten um mit allem abschließen zu können. Der wirklich schwerste Teil stand ihnen also noch bevor. Noch aber hatten sie dazu nicht die Kraft. Noch etwas Zeit musste vergehen.

Yuri hatte sich im Gegensatz zu Harry wieder vollkommen erholt und die bloßen Fleischwunden die er davongetragen hatte, waren gut behandelt worden und vollständig verheilt. Nur ein paar Narben waren zurückgeblieben, von denen er schon so viele auf seinem Körper trug. Er war natürlich ebenso niedergeschlagen und voller Trauer wie seine Kameraden, versuchte aber alles um der Gruppe wieder in einen normalen Alltag zu helfen. Er begleitete Abigail schließlich zu einem Termin mit dem Polizeipräsidenten Will Morgan, dessen Telefonnummer die Agentur seit dem Crawlerauftrag noch immer besaß. Abigail hatte darauf gedrängt, die Zerstörung der Müllverwertungsanlage ihm gegenüber aufzuklären. Seit den Ereignissen damals in den U-Bahn-Schächten vertraute Morgan der TRAP-Agentur und sie wusste, dass sie seine Arbeit durch einen ausführlichen Bericht und handfesten Beweisen wesentlich erleichtern können würden. Und sie hatte recht behalten, indem auch sie ihm vertraute und ihm eine Festplatte mit allen wichtigen Informationen zur Auswertung übergab. Morgan begriff das Ausmaß der ganzen Sache schnell und er wusste, in welcher Form er diese Fakten an den Bürgermeister weitergeben musste, damit auch der die Lage richtig einschätzen würde.

Eine Woche später traf ein Telegramm ein mit einem Kondolenzschreiben der Stadt und der Benachrichtigung über eine Sonderanweisung eines großen Geldbetrags, der die Gruppe finanziell für wenigstens vier weitere Jahre absichern würde. Zusätzlich zu den Ersparnissen die sie schon zuvor zur Seite gelegt hatten, bestand zumindest in dieser Hinsicht kein Mangel. Nach einem längeren Telefonat mit Carla Brandon, traf auch von ihr wenig später ein Kondolenzschreiben ein. Es waren die letzten Tage der TRAP-Agentur, kurz bevor Abigail ihre gemeinsame Anzeige von damals aus dem Branchenbuch löschen ließ. Sie würden keine Aufträge mehr annehmen können, es war vorbei. Als klar war, dass es beruflich nichts mehr zu tun gab, beschloss Yuri dann die Stewardess Lisa auf der Sea Lord noch einmal zu besuchen und dieser Entschluss schien sein Leben tiefgreifend zu verändern. Nur zwei Wochen danach brachen die beiden mit Yuris Hund Anton und einem gut ausgestatteten Wohnmobil zu einer längeren Reise auf, um sich gemeinsam das weite Land rund um Elysium anzusehen. Es war eine Reise ohne festes Ziel und Carla Brandon stimmte einer Freistellung ihrer Angestellten auf unbestimmte Zeit zu. Sie wusste was die Agentur verhindert hatte und wollte sich damit erkenntlich zeigen. Noch leerer wurde es in der Villa.

Es war schon tiefer Winter, als eines Abends das Telefon klingelte. Als Harry den Hörer abnahm und sich meldete hatte er eigentlich erwartet Yuris Stimme zu hören, der meist in Abständen von ein bis zwei Wochen zu später Stunde anrief, um seine Freunde auf dem Laufenden zu halten. Harry wusste bereits, dass Lisa und Yuri vorhatten in einem kleinen beschaulichen Dorf in der Nähe der Metropole Sundale zu heiraten und dort den Rest des Winters zu verbringen, um dann ihre Reise als Ehepaar weiter fortzusetzen. Es war allerdings nicht Yuris Stimme am anderen Ende der Leitung. Es war eine Dame. Harry stutzte und war überrascht zu hören, um wen es sich handelte. Als er dann Abigail an den Hörer holte und ihr sagte, dass Dr. Kelly Malcom, die Chefin von POWERS Generating Plant sie sprechen wollte, war die ebenso überrascht. Malcom war unsicher bei dem Gespräch und geriet am Anfang mehrere Male ins Stottern, doch langsam kam die Konversation in Gang und dauerte dann eine halbe Stunde bis die Geschäftsführerin endlich den nötigen Mut aufgebracht hatte um Abigail zu fragen, ob sie sich vielleicht zu einem >geschäftlichen Essen< mit ihr treffen würde. Seitens der jungen Frau sprach überhaupt nichts dagegen und sie freute sich darauf. Ablenkung vom Alltag. Seit langer Zeit wieder eine Gelegenheit das schicke Kleid anzuziehen, das sie sich für den Einsatz auf der Sea Lord damals zugelegt hatte.

So kam es zu einem geschäftlichen Abendessen in einem der feinsten Sushi-Restaurants, das die Innenstadt Elysiums zu bieten hatte. Einem Essen, bei dem es rein gar nichts Geschäftliches zu besprechen gab und auf dessen vorgeschobenen Grund sich beide Frauen geeinigt hatten, ohne es direkt auszusprechen. Stattdessen unterhielten sie sich über viele andere Dinge. Immer wieder trafen sich ihre Blicke und Abigail versteckte ihre von viel zu viel Desinfektionsmittel trockenen und rissigen Hände unter dem Tisch, knetete sie nervös. Die Zeit seit dem letzten Einsatz, der damit verbundene Stress und die Trauer um Yanny hatten ihren Putz- und Hygienezwang wieder befeuert und deutliche Spuren hinterlassen. Ihr Gegenüber schien seit Beginn des Abends ebenso nervös zu sein. Zuerst erzählte Kelly viel über ihr Unternehmen, den Veränderungen seit dem Tod ihres Prokuristen und der Reinigung der unterirdischen Stadt der Aon-I. Irgendwann leitete sie das Gespräch aber wieder auf die TRAP-Agentur und Abigail, die den Fragen zu dem Thema zuerst nur ausweichend begegnet war, begann schließlich nach dem Genuss von drei kleinen Bechern voll Sake zu erzählen. Sie erzählte alles, die ganze Geschichte von der Gründung der Agentur an und den vielen kleinen und großen Aufträgen, bis hin zu ihrem letzten Einsatz in der Unterwasserbasis. Sie wusste, dass sie besser nicht darüber gesprochen hätte aber tief in ihrem Herzen spürte sie, dass sie sich dieser Frau anvertrauen konnte. Als sie schließlich berichtete wie es dazu kam, dass die Überreste ihrer Kameradin immer noch in der Tiefkühltruhe im Keller der Villa lagen merkte sie nicht, wie ihre Tränen bereits auf das Tischtuch fielen. Kelly war absolut schockiert über den Bericht. Die Geschäftsführerin des Energieunternehmens hatte Yanny bei sich im Büro kennengelernt und Abigail hatte ihr damals kurz erklärt, wer und >was< sie wirklich war. Nachdem der Cyborg die Sicherheitssysteme des Kraftwerks in kürzester Zeit mühelos lahmgelegt hatte war ohnehin offensichtlich gewesen, dass es sich bei der jungen Frau um keinen normalen Menschen handeln konnte. Als das Restaurant schließlich schloss und die letzten Gäste langsam hinauskomplimentierte, bot Kelly Abigail an sie mit ihrer Limousine nachhause zu fahren und die Programmiererin nahm dankend an. Während der Fahrt entschieden sie sich aber um und fuhren direkt an den Nordstrand um dort ihre Unterhaltung fortzusetzen und damit den Abend ausklingen zu lassen.

Auf der Nordstrandpromenade war im Winter durch die Temperatur natürlich viel weniger los als im Sommer und doch hatten die Bars und Diskotheken auch zu solch später Stunde immer noch Betrieb. Verglichen mit dem Norden von 86 waren die Winter hier im Süden mild und es fiel nur wenig Schnee. Genug jedoch um den Strand in eine vom Mondlicht beschienene, romantische Szenerie zu verwandeln. Vereinzelt fielen schimmernde Schneeflocken auf die beiden spazierenden Frauen hernieder, die in ihre warmen Mäntel gehüllt langsam über den kalten Sand schlenderten.
„Ich möchte Ihnen mit dem was ich jetzt sage keine falschen Hoffnungen machen“, nahm Kelly die Unterhaltung nach einer Minute des Schweigens wieder auf. Abigail stutzte und blickte sie fragend von der Seite an.
„Was meinen Sie?“, erwiderte sie unsicher.
„Bei POWERS sind zwei Wissenschaftler angestellt, zwei Entwickler. Er hat in Elektrotechnik promoviert und sie in Maschinenbau. Die beiden sind gelinde gesagt etwas exzentrisch aber absolut genial auf ihren Gebieten. Ich weiß, Sie haben gesagt Sie wollen Yanny noch in den nächsten Tagen bestatten lassen… Aber vielleicht, vielleicht könnten wir ihre Überreste vorher in die Entwicklungsabteilung des Atomkraftwerks bringen, damit sich die beiden den Körper einmal ansehen? Wenn irgendjemand eine Idee hat ob man sie reparieren könnte, dann diese beiden. Ich verspreche Ihnen, dass es nicht darum geht die Teile der alten Technologie auszuschlachten. Sie haben mein Ehrenwort.“ Kelly räusperte sich verlegen. Sie konnte nicht abschätzen wie Abigail auf diesen Vorschlag reagieren würde, wusste nicht ob sie den richtigen Ton getroffen hatte. Sie wollte helfen, vielleicht gab es ja wirklich einen Funken Hoffnung? Wenn überhaupt jemand ein solches Wunder vollbringen konnte, dann waren es diese beiden Wissenschaftler, die zusammen schon alle möglichen obskuren technischen Probleme gelöst hatten. Abigail schluckte und überlegte, bevor sie antwortete.
„Das würden Sie wirklich für uns machen?“, flüsterte sie.
„Ja“, nickte Kelly und lächelte sie an, stand vor Abigail und rieb sich leicht die Hände, die in weichen Fäustlingen steckten. „Die Chance auf einen Erfolg bei einer solchen Unternehmung ist wahrscheinlich gering. Yanny war auf einem viel höheren Entwicklungsstand als mein gesamtes Unternehmen. Aber sollte man es deshalb nicht trotzdem wenigstens versuchen?“
„Das…“, setzte Abigail an und ihre Stimme zitterte dabei, „… wir … also ich weiß überhaupt nicht was ich sagen soll. Natürlich, liebend gerne! Sie haben recht, wenn es eine winzige Chance gibt wäre es fantastisch wenn sie uns diese Möglichkeit geben würden.“ Abigail wusste genau was für enorme Kosten ein Reparaturversuch alter Technologie mit sich bringen würde und Kelly bot ihr das einfach so an, ohne auch nur an eine Gegenleistung zu denken. Abigail schniefte leicht. Kelly konnte nicht anders, sie kam einen Schritt näher und umarmte Abigail. Die Programmiererin erwiderte die Umarmung, fest und innig. Sie dauerte an, bis sich die beiden Frauen langsam wieder lösten und sich danach einmal mehr direkt in die Augen sahen. Es war als hätte sich nun ein Knoten gelöst zu einer tiefen Vertrautheit, die beide spürten.
„Du duftest nach Zitronengras“, wisperte Abigail und ihrem Gegenüber lief dabei ein Schauer über den Rücken. Der Satz kam völlig unerwartet und berührte sie auf eine sehr sonderbare Weise, nicht nur weil die ehemalige Agentin plötzlich zu einer vertrauten Anrede übergegangen war.
„Ja, das ist äh…“, setzte sie zu einer Erklärung an.
„Ich mag das, der Duft passt gut zu deinen blonden Haaren“, unterbrach sie Abigail und lächelte sie an. Kelly hielt ein und wurde so verlegen, dass sie nicht mehr wusste was sie erwidern sollte. Diesmal war es Abigail die einen Schritt näherkam, sich auf die Zehenspitzen stellte um den Größenunterschied der beiden auszugleichen und Kelly einen sanften Kuss auf die Lippen hauchte. Es geschah aus dem Moment heraus, war ungeplant, unvorhersehbar und wundervoll. Kellys Herz tat einen Sprung und doch war sie wie vom Donner gerührt. „Danke für den wunderbaren Abend“, fügte Abigail an.
„Was …?“, krächzte Kelly immer noch verwirrt.
„Hm? Was denn? Ich küsse nun mal beim ersten Date“, erklärte Abigail mit gespieltem Ernst und zuckte mit den Schultern.


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